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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1926/0576
Stern: Versuch und Leben

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Und endlich ©in dritter Fall: ich sitze in der Eisenbahn und fahre von
Gießen nach Frankfurt: ich denke an alles Mögliche; plötzlich drängt sich mir
die Erinnerung an einen Bekannten aus meiner Straßburger Zeit auf; ich habe
seit etwa zwei Jahren nichts von ihm gehört, weiß auch nicht, wo er sich befindet
; ich denke bei mir: „vielleicht treffe ich ihn in Frankfurt"; ich gehe
über die „Zeil", um einige Besorgungen zu machen; da steht der Betreffende
wirklich vor mir. Daß diese Gedanken in mir auftauchten, hat zweifellos
seinen Grund, wenn ich ihn mir auch nicht klar zu machen in der Lage bin;
wir kennen die Gesetze des Vorstellungsablaufes viel zu wenig. Hier ist eine
in sich vollkommen geschlossene Reihe. Daß der Betreffende gerade an diesem
Tage nach Frankfurt gekommen ist, hat seinen Grund, ebenso daß er über die
„Zeil" geht. Daß wir hier einander begegnen, erscheint wiederum als Zufall,
weil wir die Notwendigkeit einer Verknüpfung nicht einsehen.

Damit erscheint mir die Struktur einer bestimmten Gruppe von sogen. Zufallsphänomenen
umschrieben zu sein. Von hier führt nun aber ein Weg zu
einer Gruppe von Erscheinungen, welche wir bereits zu den „okkulten" zu
rechnen pflegen, freilich zu den, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf,
periphersten. Auch hier möchte ich kurz an zwei Beispielen, bei denen jede
Täuschung ausgeschlossen ist, zeigen, welche Struktur gegeben ist. Ich behandelte
im Wintersemester 102 4/25 in den Uebungen die Psychoanalyse. Einer
der Hörer, der als Ingenieur in einer Maschinenfabrik tätig ist, berichtete dabei
über einen Traum, den er wiederholt gehabt hat: beim Verladen auf dem
Fabrikhof stürzt eine schwere Eisenwand um und begräbt einen der Arbeiter
unter sich. Einige Tage später berichtet er, daß das Ereignis genau so,
wie es sich im Traume dargestellt hat, eingetroffen ist.
Eine Täuschung ist ausgeschlossen, da der erste Bericht in Gegenwart von
mehreren Studenten im Seminar gemacht wurde. Eine Vorahnung, die sich
bewahrheitet. Das Auftreten des Traumes ist zweifellos determiniert, und wenn
in diesem Falle auch eine Analyse nicht durchgeführt wurde, so wäre eine
solche doch möglich und geeignej, Aufschluß über die den Traum auslösenden
Momente zu geben, seinen Sinn zu deuten. Auch der Unfall ist zweifellos
determiniert: die Wand stürzt, bestimmten physikalischen Gesetzen gehorchend.
Daß der Arbeiter an dieser Stelle steht, ist begründet, er will Ware verladen;
der Ingenieur warnt die Leute, er ermahnt sie zu äußerster Vorsicht, da doch
einmal ein Unfall eintreten könne; er geht fort, die Wand stürzt, und der
Arbeiter wird unter ihr begraben. Auch hier wieder schneiden zwei
Reihen, von denen jede einzelne in sich geschlossen und
determiniert ist, einander; daß aber eine Notwendigkeit vorliegt, daß
sie sich schneiden müssen, daß der Traum in Erfüllung gehen muß, sehen
wir nicht ein; hier liegt wiederum der „Zufall".

Ein anderer Fall: ein junger Mann träumt, daß ein Freund, der sich augenblicklich
in der Schweiz befindet, um Hochtouren zu machen, vom Säntis abstürzt
. Er ist aufs äußerste bestürzt und sofort von der Wahrheit des Traumes
überzeugt. Er eilt zur Post, und da er des Freundes Adresse nicht weiß, telegraphiert
er an dessen Vater, er solle den Sohn warnen, die Säntistour zu
unternehmen, da diese zu gefährlich sei; nach zwei Tagen kommt die Nachricht,
daß der Freund an dem Traumtage um die Traumzeit tatsächlich abgestürzt ist.
Ein Geschehen von genau der gleichen Struktur: determiniert ist der Traum,

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