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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1926/0603
574 Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1926.)

davon. Während die Polizei noch mit der Aufklärung der Motive der Tat, die sich
immer mehr als versuchter Meuchelmord darstellte, beschäftigt war, beging die
Gattin des Schloßbesitzers, Frau Baronin Klinger, Mutter dreier Kinder, Selbstmord.
Orlow selbst ist inzwischen an einer Lungenentzündung gestorben.

Wir lassen nunmehr das interessante Gutachten des berühmten Graphologen
und Hellsehers aus dem Neuen Wiener Journal vom 6. Juni 26 folgen, dessen außerordentliche
Begabung bekanntlich unser Mitarbeiter Prof. Oskar Fischer-Prag in
zahlreichen Experimenten erforscht und niedergelegt hat (Experimente mit R. Schermann
, Verlag Urban und Schwarzenberg, Berlin, 1924). Red.

Ein halbes Quartblatt, auf dem nur ein paar Zeilen stehen: Datum, Anschrift —
„An die Redaktion des ,Neuen Wiener Journals'", Wien und nur drei den Brief
einleitende Sätze — das ist alles, was ich Raphael Schermann vorlegen will. Vorsichtshalber
habe ich auch einen Zeugen mitgebeten. Er wartet mit mir in der
Halle des Grand-Hotels auf den berühmten Graphologen, der sich auf meinen telefonischen
Anruf bereit erklärt hatte, sein Urteil über eine mich interessierende
chrift abzugeben.

Punkt i/^lOUhr erscheint Schermann und setzt sich an unser Tischchen. Die
Halle des Grand Hotels zeigt starken Besuch, viele elegante Fremde darunter, die
wahrscheinlich das morgen stattfindende Derby nach'Wien geführt hat. Ringsum
uns gedämpfte Stimmen und hie und da das helle Lachen einer schönen Frau, die
heftig flirtet.

„Sie wollen also ein privates Gutachten von mir haben, lieber Freund?" eröffnet
Schermann die Feindseligkeiten. „Soll es ein Gutachten sein, in dem ich
rückhaltlos alles sage, was mir beim Betrachten der Schrift durch den Kopf geht
oder ist es notwendig, daß ich mir gewisse Hemmungen auferlege und manches
verschweige, was Ihnen vielleicht nicht angenehm zu hören sein wird? Sie wissen,
man fragt oft nach Dingen, um seine Neugierde zu befriedigen, und ist dann sehr
ungehalten, wenn man dies oder jenes zu hören bekommt, das zu hören einem
eigentlich nicht erwünscht ist."

„Sie können ganz rückhaltlos sprechen. Sagen Sie alles, bitte, was Ihnen durch
den Kopf geht. Es liegt mir daran, ein möglichst klares Bild über die Charakterbeschaffenheit
, besondere Eigenschaften des Briefschreibers zu gewinnen."

Mit diesen Worten reiche ich Schermann das zusammengefaltete Blatt. Er
nimmt es, breitet es auseinander, sieht es ein paar Sekunden lang intensiv an und
legt es dann flach ,auf den Tisch. Er legt das Handtäschchen der Dame darüber,
und während er stoßweise in kurzen, manchmal wie abgehackt aus seinem Munde
kommenden Sätzen zu sprechen beginnt, hebt er das Täschchen für Augenblicke
von dem Blatt auf, um wieder einen Blick auf die Schrift zu werfen.

„Der Schreiber dieser Zeilen..." beginnt Schermann, „...was mir in erster
Linie auffällt: slawisches Blut. Ein Mensch, der hocharistokratischen Kreisen entstammt
, sehr eingebildet «nd stolz auf seinen Namen ist, unstet wie der ewige Jude.
Einen großen Teil seines Lebens hat er im Auslände geweilt; er ist viel herumgekommen
. Er hat gute Tage erlebt. Ein Mensch, der sich nicht in der Gewalt hat,
mit großem Wollen... Er wußte eigentlich nie recht, was Geld ist, und er dürfte
es wohl auch weiterhin nicht wissen. Damals, als er diesen Brief schrieb, lebte er
aber irgendwie in schlechten pekuniären Verhältnissen."

Eine Minute Pause. Wieder ein flüchtiger Blick auf die Schrift, dann fährt
Schermann fort: „Er ist ein großer Charmeur, der die Gabe hat, Menschen für sich
zu gewinnen. Ja, er kann direkt hypnotische Macht ausüben und wer in
seinen Bann gerät, ist unter Umständen verloren. Es ist unglaublich, seine Wirkung
kann so weit gehen, daß das Gehirn des anderen fast willenlos wird. Solche Menschen
, die so stark in seinen Bann geraten sind, haben dann eine derartige Angst
vor ihm, daß sie ihr eigenes Ich vergessen und sich gar nicht getrauen, ihm vor
die Augen zu kommen, ihn wiederzusehen. Daß kann so weit gehen, daß, wenn
ein Mensch von einer solchen Angst befallen ist, er imstande sein kann, s i c h e h e r
umzubringen, um ihn nicht noch einmal zu sehen . . ."

Wieder einen Moment Pause. Scherman sieht mich an, aber mit einem seltsam
verschleierten Blick. Ich habe gar nicht das Gefühl, daß er mich sieht. Dann zuckt
er mit den Achseln: „Er kann aber gar nichts dafür, daß er so wirkt. Es strahlt
eine solche Kraft von ihm aus, und er ist ebenso bereit, für eine Sache, für die er
sich eingesetzt hat, selbst zugrunde zu gehen. Er fürchtet nichts, erwagtalles*


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