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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1926/0604
Kleine Mitteilungen.__575-

Er hat Dummheiten in seinem Leben gemacht, und er wird sie noch machen. Aus
dem Grunde, weil er nicht in der Lage ist, eine Idee, die ihm durch den Kopf
schießt, zu überlegen, und weil er blitzschnell etwas ausfuhrt, was er später bereuen
muß . .

„Und die Liebe ... Sie hat schon große Dinge in seinem Leben verursacht,
aber wenn er irgendeine Sache erledigt hat, kommt bald wieder etwas Neues...
Das scheint mir vor allem interessant: daß ältere Frauen stärker auf ihn
wirken als jüngere... Er fühlt skh bei ihnen sozusagen geborgen... Er braucht
viel Güte und Herzlichkeit..." Pause. Dann:

„Wollen Sie noch etwas wissen, dann fragen Sie, bitte."

„Auf welche Charakterveranlagung schließen Sie aus der Schrift? Sind es die
eines guten oder schlechten Menschen?"

„Von Natur aus ist er eher gutmütig. Aber Erlebnisse haben ihn hart gemacht.
Etwas wie Weltschmerz ist in ihm. Das Leben freut ihn eigentlich nicht. Er muß
große Enttäuschungen erlebt haben."

„Verfügt der Mensch über irgend welche künstlerische Fähigkeiten?"

„Er interessiert sich wohl für Kunst sehr stark. Das Hervorstechende bei ihm
ist aber die große Intelligenz."

„Welchen Beruf, glauben Sie, gehört der Schreiber an?"

„Er hat gar keinen Beruf. Weil er nie an einen denken wollte, denken mußte,
da er in einem solchen Milieu aufgewachsen ist."

„Halten Sie ihn eines gemeinen Verbrechens für fähig?"

„Eines gemeinen Verbrechens?" Schermann denkt einen Moment nach. „Dieb*
stahl? ... Nein... Aber ein unheimlich harter Schädel, sehr jähzornig. Etwas
anderes: er ist jederzeit zum Selbstmord bereit..."

„Für wie alt halten Sie ihn?"

„Sein Alter dürfte in der Nähe der dreißiger Jahre zu suchen sein."
„Welcher Nation gehört er an? Sie sagten slawisch. Können Sie das nicht näher
präzisieren?" •
„Er ist kein Pole. Noch mehr im Osten ..."

Schermann nimmt das Blatt und sieht es ein paar Augenblicke mit gesteigerter
Intensität an. Plötzlich sagte er: „Hier sehen Sie, das ist etwas sehr Charakteristisches
. Ein sicheres Zeichen dafür, mit welcher Kraft sich der Mann in irgendeinen
Gedanken verkrampfen kann. Sehen Sie die Schrift, mit der er ,Dresden' niederschrieb
, den Ort, wo er sich zufällig aufhielt, und vergleichen Sie das Wort ,Wien*
damit, den Ort, wohin er den Brief richtete, und von wo er etwas haben wollte»
Sehen Sie das ,n' in Dresden und das ,n' in Wien: In »Dresden' geht es ganz glatt
zu Ende, läuft aus und Sie können es gewissermaßen mit der Hand ohne Mühe wegschieben
. Das ,n* in Wien geht nicht glatt aus, es hat als Ausläufer eine Art von
Widerhaken, so als ob es sich in etwas festhaken wollte. Dem Schreiber ist Dresden
vollkommen gleichgültig — in Wien will er etwas erreichen, aus Wien will er
förmlich etwas erzwingen, und er hakt sich in dem letzten Buchstaben fest, klammert
sich so ans Papier, wie ich mich hier mit den Fingern an den unteren Rand
des Tisches festklammere.

Wenn sich dieser Mensch etwas in den Kopf gesetzt hat, so ist er imstande»

eine Bombe zu werfen oder jemanden umzubringen, er muß es einfach machen

— der Haken ist da . . ."

„Sehen Sie etwas von seiner Zukunft?"

„Dieser Brief stammt aus dem Jahre 1924... Wenn in dieser Zeit nicht ein:
guter Mensch in sein Leben getreten ist, ist er wie ein Stein, der ins Rollen kommt,
hin- und hergerissen worden, und er ist verloren... Kommt er in gute Gesellschaft
, kann er sich retten..."

Ich schließe mein Notizbuch. Schermann gibt mir den Teil meines Briefes zurück
, richtet aber keine neugierige Frage an mich.

„Und jetzt will ich Ihnen doch verraten" — sage ich — „wen Sie mir hier so
glänzend gezeichnet haben: Dieser Brief fetzen stammt von der Hand Orfows..."

Schermann zwinkert mich nervös an: „Ork>w...? Wer ist Orlow?"

„Der Held des Dramas auf Schloß Raabs."

„Was für ein Drama? Ich habe seit zwei Tagen keine Zeitung in der Hand
gehabt. Ich war verreist..." O. K.

(Aus raumtechnisehen Gründen bisher verzögert.)


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