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Krall: Denkübertragung bei Mensch und Tier.
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Bei der Seltenheit telepathischer Medien mußte man bisher schon zufrieden
sein, das Phänomen als solches feststellen zu können. Echte „Gedankenleser
" waren, wie ich es ja selbst erfahren mußte, von jeher selten und gesucht;
von aller Welt als „Attraktion" begehrt, verbrauchten sie ihre Kraft in öffentlichen
Schaustellungen. Die wenigen, die sich gern um das Problem bemüht
hätten, konnten gegen diese Varietekonkurrenz mit ihren Mitteln nicht aufkommen
, und welcher Wissenschaftler, welcher Psychologe hätte je seine Zeit
auf Berufstelepathen wie Ninoff verschwendet und nachgespürt, ob ihre
Kunst echt sei?
Zwar wurden manchmal bei gelegentlichen Versuchen bsi dem einen oder
anderen zufällig telepathische Fähigkeiten entdeckt, eine mediale Begabung
scheint also nicht ganz so selten zu sein, wie man Wohl voraussetzte. Aber
die dazu erforderliche Konzentration strengte an, der psychischen Hemmungen
und Komplikationen waren allzu viele, und zur hypnotischen Einschläferung,
die erfahrungsgemäß eine Uebcrtragung fördert, war auch nicht jeder geeignet
und bereit. So ließ man bald die Sache wieder fallen, und alles blieb in den
Anfängen stecken.
Seit den Sidgwickschen Versuchen (1889) war lange Zeit ein wesentlicher
Fortschritt nicht zu verzeichnen. Erst das letzte Jahrzehnt brachte uns eine
Reihe von wissenschaftlich wertvollen Arbeiten, praktische Versuche über
Telepathie und Hellsehen, die nicht nur die Tatsächlichkeit außersinnlicher
Uebermittlung über jeden Zweifel erheben (wenn dies noch nötig wäre), sondern
immerhin einige Streiflichter auf den Vorgang selbst fallen lassen. Doch
auch hier blieb es im Grunde bei der äußerlichen Feststellung, bei der Aufdeckung
im Tagbau, ohne im Stollen in der Tiefe schürfen zu können.
Immer noch fehlt es an zusammenhängenden Versuchsreihen über Art,
Beeinflussung und Reichweite telepathischer Uebertragung, wir warten auf
eine physikalische Durchdringung^ auf eine Variation des gleichen Themas.
Auch mein eigener, umfassender Versuchsplan — ob und wie weit etwa physikalische
oder physiologische Einwirkungen das Ergebnis beeinflussen möchten
— blieb unausgeführt, weil Ninoff fehlte, und mir kein Medium von seiner
Leistungsfähigkeit zur Verfügung stand.
Der Wissenschaft mangelte bisher das Instrument, der zuverlässige Apparat,
der uns — wie im physikalischen Laboratorium — jeden Augenblick zur
Verfügung stehen müßte. Ich hoffe, daß die Zeil kommen wird, wo diesem
Mangel abgeholfen wird, wenn man erst das Mittel erkannt hat und es zu
brauchen weiß.
Wie viele Hemmungen und Schwierigkeiten werden überwunden sein in
dem Augenblick, wo wir das unterrichtete Tier zu telepathischen Versuchen
heranziehen und uns damit von dem menschlichen Medium freimachen
können. Nicht, um das in seiner Art unersetzliche Menschen-Medium
zu verdrängen, wohl aber, um es zu ergänzen und hei der Seltenheit des
Versuchsobjektes einen Ersatz zur Stelle zu haben.
Dann erst dürfen wir erhoffen, zu jeder Zeit ausgedehnte Versuchsreihen
unter abgeänderten Bedingungen ausführen zu können. Freilich nicht in dem
Sinne, als ob wir nun vom Experimentieren her letzte Erkenntnisse erhoffen
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