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Driesch: Psychische Forschung und akademische Wissenschaft. 615

die aber gewiß nicht sehr nahe liegt, alle parapsychischen Phänomene auf der
Grundlage eines Erklärungsprinzipes verstanden werden möchten.

Wir reden hier natürlich nicht von sogenannter muskulärer Telepathie und
ähnlichem nach der Art Cumberlands. Und auch alle jene Fälle gehen uns
nichts an, in denen eine Art von unwillkürlichem Flüstern, wie es Lehmann
dargestellt hat, vorliegt, vereint mit einer Form der UeberempfindHchkeit.

Aber könnte nicht UeberempfindHchkeit, bei den Versuchen mit Professor
Gilbert Murray z. B., eine Rolle gespielt haben, selbst wenn ein leises Sprechen
ausgeschlossen war? Manche haben das angenommen, und zwar sowohl mit
Bezug auf Telepathie und Gedankenlesen, wie auch, z.B. im Falle Kahn, mit
Bezug auf Hellsehen, so daß sie also diese beiden Gruppen von Erscheinungen
auf derselben Grundlage erklärten. Aber mir scheint, daß die Annahme einer
UeberempfindHchkeit ganz und gar ausgeschlossen ist, wenn es sich um das
Lesen eines gefalteten Briefes, der in einer dicken Umhüllung steckt, handelt,
und daß auch in dem Murray-Fall manche Besonderheiten eine solche Er-
Idärung unxnöglich machen. Gehen wir «J unsere eigenen Wege. Immer na-
türlich unter der Annahme, daß alle von uns aufgezählten Phänomene „Tatsachen
" sind, und nicht nur Telepathie und Gedankenlesen — was ja heute jeder
zugibt.

Es ist eine gut begründete metaphysische Lehre, daß alle Iche und Seelen
und Entelechien im letzten Grunde Eines sind. „Das Geistige" ist ein
Teil der metaphysischen Wirklichkeit, obschon das Eine unter gewissen Umständen
als Vieles auftreten kann. Lassen Sie mich einige Ergebnisse
meiner eigenen embryologischen Forschungen hier kurz erwähnen: Ein Ei
kann zwei oder vier Organismen und Seelen erzeugen, wenn man die Fur-
chungszeilen voneinander trennt; und zwei Eier können einen Organismus und
eine Seele ergeben. Können Seelen sich teilen und verschmelzen? Würde
es nicht entsprechender sein zu sagen, daß Einheit und Vielheit in diesen Fällen
von den materiellen Bedingungen abhängen, und daß sie beide ihre letzte Wurzel
in dem Einen haben? Und nicht auf die Embryologie allein gründet sich die
Lehre von der geistigen Einheit. Dal moralische Bewußtsein und noch manches
andere in unserem Seelenleben ist schwer verständlich ohne die Annahme, daß
alles, was geistig und ganz in der Welt ist, dasEinezu seiner letzten Grundlage
hat.

Es scheint mir nun, daß die Annahme des Einen uns die Mittel gibt,
wenigstens einiges an der Telepathie und ihrem Verwandten, dem Gedankenlesen
, zu verstehen. Mit Hilfe des Einen möchte es geschehen, unter gewissen
zur Zeit noch unbekannten Umständen, daß einer von den vielen einem anderen
seine bewußten Gegenstände mitteilt.

Wir kennen die Phänomene der Bewußtseinsspaltung, die so vorzüglich
von Janet, Binet und den beiden Prince studiert sind. Hier sind zwei oder
mehr Iche mit einer Seele verknüpft; und sie haben ein wechselseitiges Wissen
um ihre bewußten Inhalte, obschon in der Form, als ob das andere Ich ein
Fremder wäre. Das mag man auch als eine Analogie zu Gedankenlesen und
Telepathie auffassen.

William James scheint unsere Phänomene in ähnlicher Weise aufgefaßt
zu haben. —

Viel schwieriger als Telepathie und Gedankenlesen ist das Hellsehen
zu verstehen, um von der Prophetie zunächst noch zu schweigen.


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