Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0057
Barthel: Theorie des Wachbewußtseins und der okkulten Zustände. 41

<lie weiblich-passive der mystischen Union, wobei sein „hohes Gemahl", die
„Ewige Weisheit", zwar stets als weibliche Gottheit gedacht bleibt, mitunter
aber eine Art Isispose annimmt, wobei der „Diener" Seuse kindhaft-willenlos
sich von ihren Armen ergreifen läßt. Inwieweit in diesem eigenartigen Erleben
des stets keuschen und doch hocherotischen Seuse sexuälpalhologischc Züge enthalten
sind, soll hier unerörlert bleiben. Seine Pose hängt zusammen mit dem
Frauenkult des Minnesangs.

In der hier geschilderten Lage ist die Mystik heute noch und wird sie immer
bleiben. Mystik ist das beglückende seelische Erlebnis der Verschmelzung mit
dem Anderen, Fremden. Und das Andere, Fremde wird dem lebendigen organischen
Wesen immer als das geschlechtlich Andere und Fremde erscheinen.
Erst in der Vereinigung lebt das organische Wesen ganz. Als unvereinigle männliche
oder weibliche Naturpotenz führt es stets ein Leben der Sehnsucht nach
\ erganzung, die es allein niemals haben kann. Genau dasselbe vollzieht sich
in der Mystik, So verlangt die Klosterfrau nach dem süßen Jesus, der Mönch
betet zu der Jungfrau. Der Philosoph Seuse sinkt in die Arme der „Ewigen
Weisheit" und die geislliehe Hetäre Mechthild gibt sich hin dem „Fließenden
Licht der Gottheit". „Verdrängt'* ist hieran nichts. Was in die Unterseele sinkt,
ist überhaupt niemal4? ,verdrängt", sondern an seinem wahren und richtigen
Orl, dem warmen Lebensboden alles Seelischen. Die ganze Verdrängungstheorie
der Freudianer, betrachtet man sie von der Mystik her, scheint mir daher schief
geschaut und krankt an dem Fehler, den Umfang der bewußten Psyche zu
überschätzen. Bewußtsein ist doch nicht mein als ein blasser Funke, der auf
dem unermeßlichen Ozean der Seele schwimmt. Dennoch liegt unser Glück
in diesem blassen Funken, dem Wissen.

Mystik wäre eine Sache ausschließlich der mittelalterlichen Religiosität,
wenn der hier geschilderte sexualpsychologische Sachverhalt unrichtig wäre.
Da Mystik aber im eminenten Sinne eine Sache des Sexualmenschen ist, der
auch durch den religiösen Mensche» des Mittelalters stets wuchtig hindurchbricht
, so ist sie eine rein menschliche, überreligiöse Angelegenheit, mithin
unvergänglich wie der Mensch. Hieraus folgt die Berechtigung, die mystische
Seele losgelöst vom religiösen Menschen zu betrachten und überzeugt zu sein,
daß der mystische Mensch auch heute noch lebt und leben kann.

Theorie des Wachbewufetseins und der okkulten Zustände.

Von Privatdozent der Philosophie Dr. Ernst Barthel, Köln.

Die Tatsache, daß es außer dem Wachzusland der empirischen Wahrnehmung
und gedächtnismäßigen Verknüpfung eine Reihe sogenannter
..okkulter", das heißt zunächst geheimnisvoller und unerklärbarer psychischer
Zustände gibt, wie etwa den Zustand des Traumes, des Fernsehens, des medialen
Schauens in empirisch verschlossene Wirklichkeitszusammenhänge, läßt sich \on
keinem Standpunkt aus in Zweifel ziehen. Die theoretische Bewältigung der als
sicher anzuerkennenden Phänomene — mit unsicheren wird sich die Theorie
am besten gar nicht abgeben — tappt aber auch heute noch ziemlich im
Dunkeln, so sehr die Parapsychologie den Problemkreis aufzuhellen sucht.
Dies scheint mir nun hauptsächlich darauf zu beruhen, daß man das gewöhnliche
Wachbewußtsein als etwas zu Selbstverständliches betrachtet, von welchem


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0057