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Zeitschrift für Parapsychologie. l.Heft. (Januar 1927.)
man keinen theoretischen Absland einnimmt. Man schließt an seine Gegebenheit
meistens einige mehr oder weniger kluge materialistische und kausale
Hypothesen an, die uns klarmachen sollen, wie aus Anstößen der Außenfwelt
im psychischen Aufnahmeapparat die WahrnehmungsWirkungen zustande kommen
, aber man verfährt dabei mit der Primitivität des Mannes von der Straße,
der die häufig vorkommenden Erscheinungen nicht mehr wunderbar findet,
sondern sie nur durch ein Gerüst kausal-mechanischer Abstraktionen mit dem
Schein intellektuellen Verständnisses umkleiden möchte. Dadurch aber ist die
Theorie der psychischen Phänomene von vornherein in eine Bahn gelenkt, die sie
unfähig machen muß, auch die sogenannten „okkulten" Erscheinungen irgend
zu begreifen. Schon vor dem Traumzustand steht sie ratlos und meint, durch
Gedächtnisreproduktionen oder Wunschgebilde diese ganze komplizierte Welt
erfassen zu dürfen. Im übrigen staunt man vor etwa anerkannten okkulten
Phänomenen anderer Art, überläßt ihre Behandlung den Dilettanten und beschränkt
sich wissenschaftlich auf die alten Schematismen, von deren biologischpraktischer
Herkunft man trotz Goethe und Bergson sich nur wenig Rechenschaft
zu geben pflegt.
Die gewissenhafte Mitberücksichtigung der okkulten Seelenzustände muß
meines Erachtens dazu führen, das ganze Fundament der Wachpsycbologie
theoretisch umzuwälzen, und zwar in Ablehnung der kausal-materialistischen
Hypothesen der neuzeitlichen Erkenntnistheorie, Physiologie und Psychologie
und in der Richtung auf eine wesensanalytische Neuerlassung auch der vermeintlich
„selbstverständlichen" Gegebenheiten der Wachpsychologie. Es ist nötig,
daß man von den sogenannten Selbstverständlichkeiten des Sehens, Hörens,
Riechens, einen theoretischen Abstand gewinne, der bisher erst selten innegehalten
wurde. Entgegen dem Mann von der Straße, entgegen dem Kausalphysiologen
, entgegen dem Dilettanten muß wissenschaftliche Psychologie eine
Wesensanalyse des Wachbewußtseins geben, die es nicht ausschließt, daß man
auch die okkulten Zustände, die ja als Phänomene genau so wirklieb sind, wenn
sie auch nicht den fundamentalen Zusammenhangscharakter des Wachzustandes
tragen, erklären, das heißt in ihrem Wesen in einen geschlossenen organischen
Einsichlszusammenhang einfügen kann. Die Psychologie ermangelt
so lange des wissenschaftlich zulänglichen Fundaments, als die okkulten Tatsachen
wie erratische Blöcke in einen ganz andern Denkzusammenhang hineinragen
. Unwissenschaftlich aber ist es nicht, daß die okkulten Tatsachen bestehen
oder daß man sie, soweit sie wirklich bestehen, anerkennt, sondern daß man
sich auf eine theoretische Grundlage der Psychologie versteift, die den Wissenschafter
allerdings dazu zwingt, um okkulte Phänomene wie die Katze um den
heißen Brei auszuweichen. Wenn ich im folgenden einen Beitrag zu der erforderlichen
wesensanalytischen Klärung zu geben versuche, so fühle ich mich
den Vorgedanken eines Goethe, Bergson, Husserl verpflichtet, und vor allem
einem Strukturprinzip, das mir selbst die unerläßliche Grundlage aller Wissenschaft
zu sein scheint, und das eben auch hier allein fördern kann: dem Strukturprinzip
der Polarität, des Kontrastes, der Gegensatzspannung, des Pendelrhythmus
, des unvereinbaren Widerspruchs in entgegengesetzten Richtungen
der Lebensphänomene. Dieses Prinzip, mit dem ich ein universales System der
Philosophie zu gestallen im Begriff bin, scheint mir auch geeignet, im Antagonismus
der Struktur von Wachbewußtsein und okkulten Zuständen der Psyche
das parapsychologische Grundproblem einer Lösung wesentlich näherzuführen.
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