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Tischner: Hyperästhesie und Hellsehen
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vertreten, in seinem neuen Buche „Okkultismus und Spiritismus" (Verlag
der Deutschen Buchgemeinschaft, Berlin, 4 06 Seiten) trägt er ihn in mancher
Hinsicht besser abgerundet vor und bezieht nunmehr auch die paraphysischen
Phänomene ein.
Es sei deshalb, da dieser Standpunkt bisher in dieser Zeitschrift noch nicht
ausführlich dargelegt ist, näher auf das Buch eingegangen. Baerwlald ist der
Führer der in Bildung begriffenen „telepathistischen' Partei; wieviel An
hänger sie hat, bleibe dahingestellt, aber da der Standpunkt immerhin vielleicht
von Bedeutung werden kann, scheint es mir wichtig, darüber hier kritisch
zu referieren. Auch in Hinsicht auC künftige Versuche scheint mir das Buch
belangreich.
Das Buch ist recht anschaulich geschrieben und gibt dem gebildeten Leser
eine gute, klare Uebersicht davon, wie ßaerwald die okkulten Phänomene und
ihre wellanschauliche Bedeutung sieht. In ihrer Art ist die Anschauung durchaus
konsequent und von einer bestechenden Klarheit, es fragt sich nur, ob sie
auch den Tatsachen genug tut.
Ein langes ausgezeichnetes Kapitel beschäftigt sich mit dem Unterbewußtsein
, ein zweites mit der Mediumität. Mit feinem psychologischen Verständnis
geht er auf Denk- und Handlungsweisen der Medien ein, und es freut, über
die Psychologie des Mediums Salze zu lesen, die man bei einem Autor, der den
extremen Negativisten wie Moll nahe steht, nicht erwarten sollte. So z. B.,
wenn er von den Forschern der S. P. R. schreibt: „sie haben sich später zu der
Ansicht bekehrt, daß auch ein echtes Medium gelegentlich schwindeln kann,
daß taschenspielerische und übernormale Leistungen bei ihm nebeneinander
hergehen können" (S. i58).
Weiter betont er, daß der Betrug der Medien öfter unbewußt sein könne,
und er dehnt dies Urteil sogar auf die Fälle aus, in denen die Medien offenbar
den Schwindel außerhalb der Sitzungen vorbereitet hatten. Die Justiz habe
A\ohl schon öfter Fehlurteile gefällt „denn welcher Nichtpsychologe soll, wenn
dem Medium umfangreiche Vorbereitungen für seine Tricks nachgewiesen sind,
nicht an einfachen bewußten Betrug glauben?"Also etwas, was man bisher
spöttisch den „Okkultisten" nur als faule Ausreden angerechnet hat, wird hier
von Baerwald als berechtigter Gesichtspunkt anerkannt!
Es ist sehr begrüßenswert, daß endlich einmal einer, der den Negativisten
nahesteht, nicht mit Kanonenkugeln im Porzellanladen hantiert, sondern in
geschmeidigem Einfühlen etwas anderes kennt, als das bekannte: Entweder —
oder. Aber ob er bei seinen Freunden damit Beifall findet?
Um zu zeigen, wie sehr Baerwald, der immer wieder als Negativist vor
schrieen wird, aus der Reihe seiner Genossen herausfällt, seien noch einige
andeie Punkte erwähnt. Baerwald nimmt nicht nur die Telepathie in weitestem
Maße an — aus bestimmten Gründen sogar in weiterem als die „Okkultisten" —,
auch die Telepathie zwischen Mensch und Tier bejaht er, eine Frage, die meines
Wissens auch mancher, der dem Gebiete sonst positiv gegenübersteht, zweifelnd
hol rächtet.
An anderer Stelle (S. 177) betont er die Stärke der Antipathien und Vorurteile
, die auf dem Gebiete wirksam sind. Bekanntlich liest man es bei den
Negativen anders, danach spielen Affekte nur auf der Gegenseite eine unheilvolle
Holle!
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