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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0108
92 Zeitschrift für Parapsycliologie. 2. Heft. (Februar 1927.)

ich die Verhältnisse der Besprochenen wisse; denn was ich gesagt, sei vollkommene
Wahrheit. Nun erstaunt* ich nicht weniger, daß meinen Traumbildern
etwas in der Wirklichkeit enlspreche. Ich ward aufmerksamer, und
wenn es die Schicklichkeit erlaubte, erzählt' ich denen, deren Leben an mir
vorübergegangen war, den Inhalt meiner Traumseherei, um Widerlegung oder
Bestätigung zu erfahren. Jedesmal aber erfolgte Bestätigung, nicht ohne Bestürzung
derer, die sie gaben. „Welcher Dämon inspiriert Sie? Soll ich wieder
an Besessene glauben?" rief der geistreiche Johann von Riga, als ich ihm in der
ersten Stunde unserer Bekanntschaft seine Vergangenheit erzählte, mit der erklärten
Absieht zu wissen, ob ich mich täusche. Wir rieten lange am Rätsel
herum; aber auch sein Scharfsinn könnt' es nicht lösen.

Am wenigsten könnt' ich selber Vertrauen zu diesen Gaukelspielen der seelischen
Natur fassen. Sooft ich jemandem meine ihn betreffende Traumseherei
kundtat, erwartete ich mit Zuversicht, die Antwort zu hören: ,,So war es
nicht!" Mir wandelte immer heimliches Grauen an, wenn der Zuhörende entgegnete
: „So war es!" oder wenn mir, noch bevor er's sagte, seine Verwunderung
verriet, ich irre nicht. Statt vieler Beispiele, führ' ich eins an, welches
mich ganz vorzüglich betroffen machte.

An einem Markttag in der Stadt Waldshut kehrte ich hier mit zwei jungen
Forstzöglingen (die noch leben), von einer Waldbereisung ermüdet, abends
im Gasthof zum Rebstock ein. Wir speisten an der zahlreich besetzten Wirtstafel
zur Nacht, wo man sich eben über allerlei Eigentümlichkeiten und Sonderbarkeiten
der Schweizer, über Mesmers Magnetismus, Lavaters Physiognomik
usw. herzlich lustig machte. Einer meiner Begleiter, dessen Nationalstolz die
Spötterei beleidigte, bat mich, etwas zu erwidern, besonders einem liübschcn,
jungen Manne, der uns gegenüber saß und den ausgelassensten Witz trieb.
Gerade das Leben desselben war an mir vorbeigeschwebt. Ich wandte mich an
ihn mit der Frage, ob er ehrlich antworten werde, wenn ich ihm das geheimste
aus seinem Leben erzählen würde, während er mich so wenig kenne als ich ihn.
Das wäre denn doch mehr, meint' ich, als Lavaters Physiognomik. Er versprach
, offen zu gestehen, wenn ich Wahrheit berichten würde. So erzählte ich,
was mir mein Traumgesicht gegeben, und die ganze Tischgesellschaft erfuhr
die Geschichte des jungen Kaufmanns, seiner Lehrjahre, seiner kleinen Ver-
irrungen, endlich auch eine von ihm begangene kleine Sünde an der Kasse
seines Prinzipals. Ich beschrieb ihm dabei das unbewohnte Zimmer, mit geweißten
Wänden, wo, rechts der braunen Tür, auf einem Tische der schwarze
Geldkasten gestanden usw. Es herrschte Totenstille in der Gesellschaft bei der
Erzählung, die ich nur zuweilen mit einer Frage unterbrach, ob ich Wahrheit
rede? Jeden Umstand bestätigte der Schwerbetroffene; sogar, was ich nicht
erwarten konnte, den letzten. Da reicht' ich ihm, gerührt von seiner Aufrichtigkeit
, freundlich die Hand überm Tisch und endete. Er \ erlangte nachher
meinen Namen. Ich gab ihn. Wir blieben plaudernd bis Mitlernacht beisammen.
Er lebt vielleicht jetzt noch.

Kein Wort weiter von dieser seltsamen Sehergabe, von der ich nicht einmal
sagen kann, daß sie mir je genützt habe; die sich nur selten, und dann unabhängig
von der Macht des Willens, und mehrenleils in Beziehung auf Personen
geäußert hat, an deren Durchschauung mir wenig gelegen war. Ich
bin auch wohl nicht der einzige, der in ihrem Besitze ist. Auf einer Reise, mit
zweien meiner Söhne, traf ich einst mit einem alten Tiroler, der mit Zitronem


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