http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0226
210 Zeitschrift für Parapsychologie. 4. Heft. (April 1927.)
weniger kompliziert als die andere Annahme des Voraussehens der Zukunft
durch eine Verbindung mit einem höheren Bewußtsein.
Bilderteste, die zur Not dieselbe telepathische Deutung zulassen, findet man
in den Berichben an mehreren Stellen (P. 36, 281/82 u. P. 36, 328/26). Ich
gebe noch ein Beispiel von Zukunflsehen Fedas, das sich wiederum vielleicht
telepathisch erklären läßt. Zu Miß Dallas sagt Feda am i3. September 1900:
„Ein älterer Herr, ein wenig gebeugt. Augenbrauen mit langen Haaren, hervortretende
Backenknochen, gute Stirn, gut geformter Kopf, mit ziemlich dünnem
grauem Haar. W. wird die Last der materiellen Bedingungen erleichtern. Er
interessiert sich für Ihre Schriften; ein neues Buch; Beziehungen mit neuen
Leuten, alte Bedingungen fallen weg. ein neuer Weg, Menschen zu helfen/'
Miß Dallas bemerkt, daß sie niemand kannte, auf den die Beschreibung gepaßl
hätte. Die Erwähnung des „neuen Buches" erinnerte sie an das Manuskript eines
„Handbuchs von Gebeten für Hinterbliebene", für das sie keinen Verleger
gefunden hatte. Etliche Wochen später sah sie in der Zeitschrift Light eine
Bitte um ein Gebet, das für die Toten verwendet werden könnte; sie schrieb an
die Zeitschrift und bot ihr Manuskript jedem an, der es etwa sehen wollte.
Unter anderen schrieb ihr dann ein Mann mit dem Vornamen Walter; er wollte
das Manuskript sehen, um es eventuell herauszugeben. Er bot ihr schließlich
an, dasselbe auf seine Kosten drucken zu lassen, was auch geschehen ist Sein
Vorname beginnt mit W, und als Miß Dallas ihn sah, bemerkte sie, daß er der
von Feda gegebenen Beschreibung entsprach, nur fehlten die von Feda erwähnten
langen Haare der Augenbrauen; auf Befragen erklärte der Herr, er müsse
sie manchmal schneiden. Er beseitigte „die materiellen Bedingungen", welche
die Veröffentlichung hinderten, auch kam Miß Dallas durch ihn mit neuen
Leuten in Beziehung. Sowohl der Herr, wie Frau Leonard versichern, einander
nicht gekannt zu haben und auch Miß Dallas kannte ihn vorher nicht, nur fand
sie später, daß er in einem ihr gehörigen Buch in Zusammenhang mit einem
okkulten Phänomen genannt war, sie erinnert sich aber nicht, die Stelle gelesen
zu haben (P. 36. 3i4/i6). Wenn man die Deutung dieses Geschehnisses durch
Hellsehen in die Zxikunft, d. h. durch ein in Beziehung treten zu einem die Zukunft
umfassenden höheren Geist (Gott) ablehnt, so müßte man annehmen,
daß Frau Leonards Unterbewußtsein oder ein Miß Dallas gewogener Geist,
irgendwie um das Interesse des betreffenden Herrn für Gegenstände, wie
sie Miß Dallas Manuskript enthält, gewußt und nun diese wie den Herrn
telepathisch so beeinflußt hätte, daß es schließlich zu ihrem Zusammentreffen
kam; freilich ist diese Deutung kaum weniger kompliziert als diejenige durch
Hellsehen in die Zukunft.
So stellt auch die reiche Phänomenologie Frau Leonards vor Rätsel, die
wir heute nicht zu lösen vermögen. Einige der Buchteste machen räumliches
Hellsehen wahrscheinlich, einige der spiritistisch anmutenden Phänomene scheinen
wirklich durch die Geister hypothese einfacher und natürlicher ei klärbar als
durch rein animistische Annahmen, ohne daß doch die spiritistische Deutung
als richtig erwiesen werden könnte. Andere Phänomene weisen auf Hellsehen
in die Zukunft hin, aber wiederum so, daß zur Not eine telepathische Deutung
möglich bleibt. Eines nur ist sicher, daß sich die Gesamtheit der Leonardphänomene
nicht auf Betrug zurückführen läßt; jedes einzelne der Phänomene
läßt sich schließlich durch Betrug, erbärmliche Beobachtungsfähigkeit und
Berichterstattung der Zeugen sowie durch Zufall erklären, aber eine solche
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0226