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228 Zeitschrift für Parapsychologie. 4. Heft. (April 1927.)
für Wirklichkeit auszugeben, nicht neurotisch ist, so ist sie eben absichtlich,
und Sundar ist der raffinierteste Lügner sefit Leo Taxil.
Auch die täglichen Gesichte fallen in Betracht. Heiler schwankt beständig
zwischen zwei Auffassungen hin und her. Bald ist das Geschaute mehr jenseitige
Wirklichkeit, bald mehr visionäre Phantasie; je nach der Leserschaft wird bald
das eine oder das andere ausgespielt, genau wie bei den Wundern, die bald als
glaubwürdig, bald als Legenden dargestellt werden. Ich halte es in solchen
Widersprüchen nicht aus. Entweder — oder! Entweder ist Sundar, wie Heiler
versichert, normal, dann ist jener einer der elendsten und schlauesten Schwindler,
die jemals da waren; oder dann muß er bona fide Wirklichkeit und Phantasie
verwechseln, oder dann reichen sich, wie bei der Konfabulation (freien Erfindung
, die für Erlebnis gehalten v. ird) und der Pseudologia phantastica in
weitaus den meisten Fällen, bewußte und unbewußte Entstellung die Hand. Und
letzteres wird auch bei Sundar der Fall sein. Ich kann aber zu meinem tiefsten
Bedauern nicht verhehlen, daß ich infolge der Weigerung Sundars, seine
gedruckte biographische Schrift sehen zu lassen und anderer neu entdeckter
Geschichtsentstellungen der bewußten Täuschungsabsicht heute einen weit
größeren Anteil beilege, als ich es in meinem Buche tat.
Die Wahrheit über Sundar Singh wollte Heiler darlegen. Sein Vorhaben
ist ihm nicht gelungen, weil er sich an die Normen der historischen Kritik nicht
hielt. Auch war sein Quellenmaterial, das er in dem langen Zeitiaum seit
Erscheinen seines „Dokumentenbuches** sammelte, \on erstaunlicher Dürftigkeit.
Hosten und ich haben inzwischen ein unvergleichlich viel größeres und wichtigeres
Material zusammengebracht. Jch hätte es gern gesehen, wenn Heiler es in seine
Dokumentensammlung aufgenommen hätte, wie ich ihm auch meine und Hostens
Dokumentenmassen zur Verfügung stellte (Bri^f vom 3. 4. 25 meine eigenen vom
(8. io. 25 diejenigen Hostens). Er ging auf letztere nicht ein, und da er die
iWissenschaftslehre außer acht läßt, hätte wohi auch nicht viel dabei herausgeschaut
. Allein womit wird Heiler sein angesagtes „Dokumentenbuch'* füllen,
da seine Quellen doch nach dem jüngsten Aufsatz rein nichts belangreiches
enthalten? Mit neuen Behauptungen über unsachliche Motive seiner Gegner?
Wird er weiter das Rezept seines Lehrers Sundar (Dok. i3) anwenden, den verlorenen
kirchlichen Unfehlbarkeitsglauben wiederum, wie schon unzählige Male,
auf die Wissenschaft übertragen und sagen: Wenn mein Gegner hier fehlt, so
sind alle seine Beweise nichtig? Wird er, wiederum seinem Lehrer nachfolgend,
den Weg der moralischen Verdächtigung betreten, wie seine Verdächtigung des
Unbekannten von Subathu anzudeuten scheint? Dann möge er sich zu Gemüte
führen, daß Sundar sich durch diese Kampfmethode nur schadete1). Niemand
hat ein Interesse daran, daß aus dem Fall Sundar ein Fall Heiler hervorgehe.
x) Wegen Sundar-Heilers Behauptung, Dr. Nugent sei jüngst von der Leitung
seiner eigenen Mission „in beschämender Weise" desavouiert worden (Chr. W.
1925, 121; Dok. 143), schrieb ich an die Vorsitzenden der 1925 gegründeten, die
Presbyterianer, Methodisten und Kongregationalisten umfassenden „United Church
of Canada Mission". Der Vorsitzende des zentralindischen Presbyteriums, Rev.
J. S. Mackay in Neemuch (i. 6. 26), wie der Leiter des nordindischen Zweiges,
Rev. C. D. Donald in Khaura (27. 5. 26) erklären, daß Sundars und Heilers Behauptung
gänzlich falsch sei. Die Volksversammlung von Rutlam hat, wie ich
Leg. 241 schrieb, mit der kanadischen Mission keine offizielle Verbindung, also
wurde Nugent durch sie nicht desavouiert. Dr. Nugent steht trotz der häßlichen
Beleidigungen des fanatischen Sadhu (Leg. 239) in allerhöchsten Ehren.
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