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Oesterreich: Neue Wege zur Erforschung der mediumistischen Phänomene. 229
Wer für Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe streitet, muß es ritterlich tun. Für
sachliche Kritik ist jeder anständige Mensch dankbar und nimmt sie ohne Verbitterung
entgegen, zumal er das Recht der kritischen Nachprüfung auch für
sich in Anspruch nimmt; denn es ist so, wie Clemens Alexandrinus sagt
(Praed III, 121): „Wer freimütig tadelt, fördert den Frieden".
Kritik und Methodik.
Neue Wege zur Erforschung der mediumistischen Phänomene.
Von Prof. Dr. T. K. Oesterreich-Tübingen.
Siehl man sich die Problemlage der Gegenwart näher an, so ergibt sich <ais
Hauptmangel, der die Forschung so langsam weiterkommen läßt, die geringe
Zahl der zur Verfügung stehenden Medien. Grunewald besaß ein wunderbar eingerichtetes
Laboratorium, aber er mußte seine Beschreibung desselben mit dem
Bekenntnis schließen, daß das Wichtigste seit geraumer Zeit fehle: ein Medium.
Die Gewinnung der relativ objektivsten Gegner wie z. B. des Grafen Klinckow-
stroem scheitert vielleicht nur an dem Fehlen eines geeigneten Knallmediums,
wie ich die Medien mit den giObsten Phänomenen nennen möchte1). Hätten wir
Medien von der brutalen Wirkungsfähigkeit der Eusapia, aber ohne ihre Schwankungen
, zur ständigen Verfügung, so gelänge es vielleicht bald auch den letzten
unentwegten Skeptiker einer besseren Erkenntnis zuzuführen. Ein Medium wtie
die Eusapia in einem psychologischen oder physiologischen Institut in entsprechender
Entfernung vor eine abgeteilte Zimmerecke gesetzt und dahinter
Vpparate aufgebaut, die sie dann bei bester Kontrolle telekinetisch kaputt schlüge,
ich glaube, das würde helfen. Man würde sich vielleicht ihren kostspieligen Besuch
für die Zukunft verbitten, aber *ron ihrer Echtheit überzeugt worden sein.
Die Erfahrung zeigt, daß wir auf die Wiederkehr eines solchen Mediums
lange werden warten müssen. Wir müssen also anders vorgehen.
Es ist an der Zeit, daß die experimentelle Parapsychologie sich dessen erinnert
, daß die,,Knallmedien" offenbar nur die extremen Fälle des Mediumismus
überhaupt darstellen. Es ist gar kein Anlaß vorhanden zu meinen, daß jedes
medial veranlagte Individuum imstande sein muß, einen Tisch zu heben oder eine
sichtbare Materialisation zu erzeugen. Vielmehr ist Grund vorhanden anzunehmen
, daß es zahlreiche mäßig und noch mehr schwach medial veranlagte
Personen gibt. Ganz so wie es, zwar nur wenige Dichter gibt, aber wohl jeder
Mensch einmal Verse gemacht hat, von denen nicht wenige ganz passabel sind.
Diese mäßig medial veranlagten Personen müssen erfaßt werden. Vielleicht
hätte das auch den Vorteil, daß wir auf diese Art zu Versuchspersonen kämen,
die psychisch nicht so empfindlich sind wie die meisten „großen Medien", bei
denen wie beim Psychasthenischen unter Umständen die Anwesenheit einer einzigen
unwohlwollenden Person genügt, sie funktionsunfähig zu machen (in-
hibition sociale, mit Janets Bezeichnung).
!) Zusatz bei der Korrektur- Vorkommnisse der jüngsten Vergangenheit lassen
mich zweifeln, ob bei einzelnen Individuen die Wahnideen des Positivismus überhaupt
erschüttert werden können.
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