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Bernoulü: Prof. Eugen Bleuler und der Okkultismus
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die Spontaneität, besonders die verschiedene Art, wie dasselbe Geschehen von
Empfängern an verschiedenen Orten empfunden wurde, schienen ihm dafür zu
sprechen. Als Beispiel für den letzten Fall führte er an, wie der Tod des einen
von vier Brüdern von jedem der drei übrigen telepathisch empfunden, aber
nach Maßgabe ihres persönlichen Charakters in verschiedener Weise dramatisiert
wurde. Auch der verschiedenartige Charakter des „Jenseits" scheint Bleulei
ausschließlich von der Verschiedenartigkeit der Medien und ihres jeweiligen
Milieus bedingt. Dabei wertel er das „Jenseits" nur als unterbewußte Begriffs-
bildung und ist durchaus nicht geneigt, Kundgebungen, die den Charakter der
im Volksmund als Spiritismus gekennzeichneten Einstellung tragen, als beweiskräftige
Zeugnisse anzusehen (ohne die Gutgläubigkeit der Beteiligten inklusive
des Mediums in Zweifel zu ziehen). Also die alte Einstellung des Animismus,
verfeinert und vertieft durch das Verständnis, das in der Zwischenzeit durch die
Psychoanalyse dem Wesen des Unterbewußten entgegengebracht wurde. Bleulers
sehr vorsichtige und als Vorläufiges formulierte Einstellung dem Mediumis-
mus gegenüber, bildet demnach eine Art von Zwischenbegriff, der die schroffe
Gegenüberstellung Animismus -- Spiritismus abstuft. Doch das sei, meint
Bleuler, bloß erst ein vorläufiger Eindruck. Die Zeit, Hypothesen über das
Wesen des Mediumismus aufzustellen, hält er noch nicht für gekommen. Zunächst
muß noch die Frage nach der Tatsächlichkeit okkulter Phänomene überhaupt
geklärt werden. Die negative Einstellung, die mit billigen Argumenten,
wie fetwa das „Dreimännerbuch" des Ullstein-Verlages operiert, sei durchaus
unangebracht und habe auf ihn gerade im gegenteiligen Sinne gewirkt. Seit er
das Buch gelesen habe, sei er viel eher geneigt an den Okkultismus zu glauben,
denn eine Ansicht, für die man mit so schwachen Gründen und offenkundigen
A erdrehungen zu Felde ziehe, müsse auf sehr schwachen Füßen stehen.
Trotzdem hält Bleuler den strikten Beweis für die Tatsächlichkeit okkulter
Geschehnisse nicht für erbracht aus dem einfachen Grunde, weil Beweise, außer
auf dem Gebiete der Mathematik, nach seinerMeinung überhaupt nicht erbracht
werden können. Leider hat Bleuler^diese seine Einstellung nur in doppelter
Negation präzisiert. Er meinte: Die uns scheinbar selbstverständliche Tatsache,
daß ich vor Ihnen stehe und einen Vortrag halte, ist eine Annahme, die sich
überhaupt nicht beweisen läßt. Ebensowenig läßt sich irgendetwas auf dem
strittigen Gebiete des Okkultismus beweisen.
Das könnte nun zweierlei heißen: Ein Non liquet der Frage des Okkultismus
(so ist es natürlich von der Presse der rationalistisch-kapitalistischen
Gesellschaft aufgefaßt worden). Oder aber: So wahr ich hier stehe und
einen Vortrag halte, so wahr habe ich selber die von mir berichteten Phänomene
erlebt, nämlich: eine gelungene Versuchsreihe auf dem Gebiete der
Telepathie, ein Spukphänomen in der Irrenanstalt Rheinau, das jede Erklärung
durch die bisher bekannten Naturgesetze als unwahrscheinlich erscheinen
läßt, und in die Rubrik der sogenannten Materialisationen und
Dematerialisationen gehört, schließlich eine Anzahl positiver Sitzungen
mit Rudi und Willi Schneider, welche die Talsachen der Telekinese und der
scheinbaren Materialisation demonstrierten.
So konnte im Zusammenhang mit der Abweisung der „Neinsager um jeden
Preis'*, das Resultat des Bleulerschen Vortrages eben auch positiv gedeutet werden
im Sinne der Anerkennung des Okkultismus als Realität. Diese Auslegung
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