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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0253
Schneider: „Okkultismus und Seelsorge" von Georg Bichlmair. 237

Jisehen Kirche ab- und dem Okkultismus zuwenden. Ich kann nicht sagen, daß
das Verständnis dieser unverkennbaren Tatsache durch die Ausführungen des
A erfassers nur im mindesten gefördert worden sei. Im Gegenteil: der Verfasser
muß auf S. 79 selbst sagen, daß ein Katholik den Jubel — der die erst
Gläubigen bei ihrem Uebergang zum Okkultismus erfaßt — kaum recht begreifen
kann. Alles, was der Okkultismus — nach Bichlmair — zu bieten
vermag: Erlösung vom Materialismus, seelische Erfüllung, Vergeistigung, Wundererl
ebnis. Einswerdung mit Gott, das, so meint er, vermag der Fromme in
der katholischen Kirche auch und sogar viel besser und reiner zu finden. Wenn
das aber der Falk wozu der Abfall? Hier läßt uns die Weisheit Bichlmairs
vollkommen in Stich.

Wenn Bichlmair von Okkultismus redet, so* meint er damit den ethischreligiösen
, der im okkulten Erlebnis eine Befriedigung seelischer Bedürfnisse
suchl. Diesen will er entwerten und auf bessere Formen der Befriedigung hinweisen
, (regen den wissenschaftlichen Okkultismus hat er nichts einzuwenden,
ja er gesteht ihm sogar volle Berechtigung zu. Er vergleicht ihn mit aller
Wissenschaft überhaupt, die gegebene Natur- und Lebensphänomene zu begreifen
sucht; die Erforschung einer Materialisation und eines Hellsehaktes
dünkt ihm — vom kirchlichen Standpunkt aus! — ebenso erlaubt wie die Erforschung
des Lichtstrahls, der mechanischen Bewegung, des chemischen Vorgangs
. Das begreife ich sehr gut, denn eigentlich besteht ja überhaupt keine
wesentliche Differenz zwischen Kirche und Wissenschaft, die doch aus den
kirchlichen Schulen herausgewachsen ist. Gegen die Wissenschaft hat die Kirche
nie gewütet, war sie doch gerade selbst immer stolz auf ihre Wissenschaftlichkeit
, und der ganze Gegensatz des Katholizismus zum Protestantismus ist eigentlich
nur darin gegeben, daß der erstere das religiöse Erlebnis gedanklich zu
vertiefen sucht, der letztere dagegen Theorien ablehnt und Religiosität auf das
Gemüt beschränkt Die Kirche ist eben echte Theologie, Wissen von Gott. Sie
redet von einer causa prima, während die Naturwissenschaft sich mit causae
secundae begnügt. Die Kirche läßt» die Welt durch einen freien Willensakt
Gottes geschaffen werden, während die Physik die Welt als gegeben hinnimmt
und nur ihre Struktur untersucht. Daß übrigens viele Naturwissenschaftler
auch an eine causa prima glauben, ist bekannt genug: erst vor kurzem hat
W. Nernst, der bekannte Thermophysiker, die Zufälligkeil des Weltgeschehens
direkt als Gottesbeweis verwertet. Wohl zuerkennt die Kirche dem Menschen
eine übernatürliche Struktur, die aus der Materie heraus nicht abgeleitet werden
kann, das bedeutet aber keinen Gegensalz zur Naturwissenschaft, da auch diese
das Bewußtsein nicht aus der Materie abzuleiten vermag: das Ignorabimus in
Hinsicht auf die Entstehung ^on Bewußtsein war das Wort eines Physiologen.
Allerdings \ersucht die Physiologie ohne das Bewußtsein auszukommen, betrachtet
es nämlich als Epiphänomen, das für die Kausalität des menschlichen
Handelns keine Bedeutung haben soll. Aber auch das is( eigentlich kein funda-
menlaier Widerspruch der Kirche, denn hat in deren Auffassung die menschliche
Seele eigentlich Bedeutung für die Welt? Keineswegs: die Seele kann die
Welt als Jammertal wohl erleben, aber ihre eigentliche Wirkheimat ist doch
der Himmel: die kurze Frisl irdischer Existenz ist ja völlig bedeutungslos
gegenüber dem ewigen Leben bei Gott. Der Kirche gemäß leben wir nicht für
das Diesseits, sondern für das Jenseits. So ist in Wahrheit hier wie dort das
Bewußtsein etwas Weltfremdes und gerade darin entpuppt sich die schönste


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