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240 Zeitschrift für Parapsychologie. 4. Heft. (April 1927.)
vollkommen wesens\erschieden sind: Bewußtsein ist ein synthetisches, Energie
ein analytisches Prinzip. Und wozu brauchte Gott eine Welt! Der Naturalis-
iims bedarf auch Gottes gar nicht zum Verständnis des zufälligen Weltgegebenseins
, da er in der Energie gerade die richtige Zufallsursache dafür vor
Augen hat. Nur um das Geistige in der Welt, das Formale an den Energie-
gebilden und -äußerungen zu verstehen, bedürfen wir Gottes, und müssen darum
sagen — was ja Mythus und Mystik seil Urzeiten gesagt haben! — daß etvui^
Göttliches in der Welt gefangen liegt, daß die Weltschöpfung ein Raub war an
Gott: die absolute Energie, der böse Weltschöpfer der Gnosis, tangierte Gott
und so ergab sich die Well. Solche Auffassung läßt uns nun auch ohne weiteres
die Existenz des Lebens begreifen. Aus der Natur heraus begreifen wir si(
nicht, denn Leben ist ja gerade ein Prozeß, der auf Natur Verwandlung zielt: an
Stelle toter Substanz setzt es lebendige, wie sollte da3 aber d*e tote Materie vermögen
? Das konnte nur durch einen freien Eingriff Gottes in die Welt bewirkt
werden und darin bietet sich uns ein Schöpfungsakt da**, den unser Denken
wohl zu begreifen vermag. Mit dem ersten Lebewesen begann ein zielvoller
Entwicklungsgang, in dem fortschreitend immer umfassender Natur umgebaut
wird in Leben, um erkennbar mit der Tendenz, ein Weltsubjekt zu schaffen, in
dem Bewußtsein ebenso dominiert wie heute Energie in der Natur. In dieser
Yergottungstendenz des Lebens finden wir wieder den berechtigten Grund des
Pantheismus, der nur dahin über die Schnur haut, daß er den Weltgott schon
gegeben glaubt, während er erst in einem langen, unsäglich mühevollen Entwicklungsgange
zu tntstehen vermag.
Das ist mein Okkultismus und Pantheismus! Leicht zu entnehmen ist, daß
er sich mit den vier heute gegebenen Standpunkten vertragen muß, denn er ist
ja nichts anderes als deren eigentlich selbstverständliche Synthese. Er gibt dem
Leben erstmalig einen Sinn und diesen Sinn leitet er ab aus Göll, der im
Lebensschöpfungsakt das in der Well eingekerkerte Göttliche zu erlösen sucht.
Dem Gottesopfer im zufälligen Wellschöpfungsakt folgt die Gotierlösung, die
zielvolle Weib ergo ttung. Ich glaube, daß allein solche Auffassung für die
Zukunft Bedeutung gewinnen kann, während der rein© Theismus und reine
Pantheismus so wrenig auf die Dauer zu befriedigen vermögen wie der reine
Naturalismus und der reine Idealismus. Sie zeigen uns alle kein Lebensziel,
keine irgendwie lohnende Lebensaufgabe, und daraus erklärt sich unser Kultur-
# Untergang, der uns alle alten Lehren am tristen Ufer der Zwecklosigkeit stranden
zeigt. /
Aus dem Gesagten geht vor allem hervor, daß es keinen Unterschied von
wissenschaftlichem und ethisch-religiösem Okkultismus gibt. Werden die okkulten
Phänomene als teleologische Lebensleistungen erkannt, so steht ihre wissenschaftliche
Untersuchung so wenig im Gegensatz zur religiösen Auswertung, wie
das für die Scholastik galt in ihrem Yerhältnis zur Kirche. Gerade erst der
wissenschaftliche Ausbau des Okkultismus wird dem religiösen Bedürfnis der
Okkultisten die zwingende Grundlage schaffen und er selbst kann nur verstanden
werden aus einem religiösen Sinnbedürfnis heraus.
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