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256 Zeitschrift für Parapsychoiogie. 4. Heft (April 1927.)
richte zu prüfen und die positiven und negativen Momente gerecht gegeneinander
abzuwägen. Tischner weist nach, wie die Gegner in ihren Betrachtungen stets die
stärksten Versuche ignorieren und nur die schwächsten besprechend das Ganze
zu Fall zu bringen suchen; dabei mahnt Tischner, trotzdem den Gegnern den guten
Glauben nicht abzusprechen, sondern im allgemeinen eher eine verkehrte Einstellung
anzunehmen. Da ich vor einiger Zeit den von Tischner gerügten Vorwurf
der Illoyalität gegen einen Gegner erhoben habe, darf ich hier vielleicht meinen
Standpunkt präzisieren. Wenn Dr. Baerwaid in seinem Buch „Okkultismus und
Spiritismus" Eusapia einen kurzen Passus widmet und darin schreibt, „bei Eusapia
hat es von 1891—1910 gedauert, bis man ihre Tricks zu meistern verstand, und eine
ganze Reihe gelehrter Kommissionen haben sich von ihr vollständig düpieren lassen
", so verrät Baerwaid in dem kleinen Abschnitt keinerlei tiefere Kenntnis des
Falls, man darf daher wirklich annehmen, daß bloße Unkenntnis vorliegt, wenn er
meint, Eusapias kindische Tricks seien erst 1910 erkannt und gemeistert worden
(vgl. dagegen meine Eusapiaarbeit in „Die Physikalischen Phänomene der großen
Medien"); wenn aber Dr. Rosenbusch in seiner 80Seiten umfassenden Eusapia-
Monographie (in „Der physikalische Mediumismus"), wo er zeigt, daß er die
Originalberichte in beträchtlichem Umfang gelesen hat, die zahllosen Tischerhebungen
Eusapias bei vollem Licht und bester Kontrolle über und unter dem Tisch
sämtlich ignoriert, kann dies nicht leicht durch Unwissenheit oder verkehrte Einstellung
entschuldigt werden. In einer Hinsicht möchte ich den Gegnern weiter
entgegenkommen als Tischner, der es Carrington zum Vorwurf macht, daß er die
Gründlichkeit von Zöllners Kontrolle der Füße und Strümpfe Slades, nachdem dieser
zwei Fußabdrücke auf Rußflächen hervorgebracht hatte, bezweifelt; es ist nicht
ausgeschlossen, daß Slade, wenn er ein geschickter Fußakrobat war, den Strumpf,
in dem er die Fußabdrücke vielleicht hervorbrachte, schon unter dem Tisch auszog
und durch einen anderen ersetzte; diese Ersetzung könnte auch später stattgefunden
haben Wir dürfen nicht vergessen, daß z. B. Davey es fertig brachte, den Bruder
Podmores dahin zu bringen, in einem Sitzungsbericht gutgläubig zu versichern, er
habe eine Tafel, auf der dann eine Geisterschrift erschien, währed der ganzen Sitzung
nicht aus der Hand gegeben; und doch sah Podmore, wie Davey seinem Bruder die
Tafel eine Zeitlang abnahm. Wir können deshalb auf unserem gefährlichen Gebiet
nur an Experimente glauben, die immer wieder vor verschiedenen Gelehrten mit demselben
Medium unter strengster Kontrolle stattfinden. Sehr richtig ist Tischners Bemerkung
, daß bei vielen häufig wiederholten okkulten Experimenten die Zeugenaussagen
viel höher zu bewerten sind als etwa die Zeugenaussagen vor Gericht.
Im ersten Fall handelt es sich meist um geübte Wissenschaftler, die ausdrücklich
kommen, um bestimmte Phänomene, die das Medium sogar zuweilen ankündigt,
zu beobachten; im zweiten dagegen sind es gewöhnlich ungeübte Zeugen, die über
etwas berichten, das sie gar nicht erwarteten und auf das ihre Aufmerksamkeit
daher nicht gerichtet war. Schließlich weist Tischner auf den Fortschritt hin, der
darin liegt, daß Baerwaid, der Moll nahe steht, jetzt bei der Untersuchung der
Berichte über Erscheinungen Lebender die historische Methode anwendet und anerkennt
, daß man hier so wenig wie in der Geschichte die hundertprozentige Gewißheit
der Mathematik oder Physik verlangen darf. Tischner hofft, daß Baerwaid
auch zur Anerkennung der physikalischen Phänomene gelangen wird, wenn er
dieselbe historische Kritik auf sie anwendet; freilich wird es dazu nötig sein, daß
Baerwaid, nicht wie er es bei Eusapia tat, sein Urteil vor dem Studium der Berichte
abgibt.
Jeder Metapsychoioge, der sich über die Grundlagen seiner Wissenschaft klar
• werden will, sollte Tischners feine Schrift eingehend studieren,
Rudolf Lambert.
Berichtigung.
Wie unser Referent Kronfeld mitteilt, haben die farbigen Tafeln in dem Werke
von R o c h a s: „Die Ausscheidung des Empfindungsvermögens" tatsächlich nur in
dem ihm überlassenen Rezensionsexemplar gefehlt, und zwar durch ein Versehen
des Buchbinders. Der Verlag Max Altmann hat die Tafeln, ihrer Wichtigkeit
entsprechend, aus dem französischen Original auch in seine deutsche Uebersetzung
mit übernommen.
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