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Zeitschrift für Parapsychologie. 5. Heft. (Mai 1927.)
aus Hamburg. Letzterer ist mir selbst unbekannt. Er soll mit seiner Frau,
die sein Medium ist, die wunderbarsten Experimente gemacht haben. Ich hatte
den Eindruck, daß es sich ausschließlich um die Lektüre sozusagen bigotter
spiritistischer Bücher gehandelt hat, die mehr wissenschaftlichen parapsychologischen
Werke bekannter ernster Autoren waren Tammer und seinem Kreise
unbekannt.
Trotz seines überzeugten Spiritismus, den er auch offenbar sehr eifrig
betrieben hat, war Tammer bis vor kurzem im Dienst stets tadellos und zuverlässig
; in seinem Privatleben im vollsten Maße zurechnungsfähig. Bis auf
den Spiritismus also völlig „normal". Ich möchte bemerken, daß der niedere
Spiritismus, besonders Tischrücken usw. in der Provinz und auch auf dem
Lande leider in viel zu großem Maße betrieben wird, also keine ganz außergewöhnliche
Erscheinung bei einem Manne wie Tammer war.
Tammer machte im Anfange durchaus kein Geheimnis aus seiner Verbindung
mit „Geistern", erzählte im Gegenteil seinen Kollegen und auch seinem
Vorgesetzten Herrn M. davon, lud sie ein, ihn doch zu Seaneen zu besuchen
usw. Er erzählte ständig, daß sein Mediumismus die überraschendsten Fortschritte
mache und kam oft ganz begeistert aufs Amt. „Also ich sage Ihnen,
jetzt wird es großartig, ganz großartig! Sie müssen mal zu mir kommen!"
In dieser Art sollen seine Aeußerungen gewesen sein. Frl. I., seine Wirtin,
soll öfters an seinen Sitzungen teilgenommen haben, doch es später abgelehnt
haben, weil sie ihre Nachtruhe brauche, während Tammer oft ganze Nächte
hindurch ununterbrochen spiritistische Praktiken trieb, hauptsächlich Tischrücken
. Er scheint sich schon vor längerer Zeit durch Mangel an Schlaf sehr
überanstrengt zu haben, denn seine Kollegen erzählen, er habe schlecht ausgesehen
und auch über Herzstörungen geklagt. Seine spiritistische Begeisterung
wurde aber immer größer.
In besonderer Verbindung stand er mit seinem verstorbenen Bruder. Dieser
scheint die Rolle des „Kontrollgeistes" bei ihm gespielt zu haben. Tammer
scheint von Anfang an so fest von den Dogmen des Spiritismus strengster
Observanz überzeugt gewesen zu sein, daß ihm nie die geringsten Zweifel an
der Echtheit der „Geisterbotschaften" gekommen sind. Er war fast überzeugt,
mit seinem Bruder und anderen Verstorbenen zu verkehren und glaubte aufs
Wort, alles, was sie ihm mitteilten. Die Mitteilungen scheinen sich nun zuerst
aufs Tischrücken beschränkt zu haben. Später erklärte Tammer aber ganz
* triumphierend auf dem Amt, er könne jetzt schreiben, was die „Geister"
ihm diktierten. Sein Mediumismus hatte sich also offenbar zu automatischer
Schrift entwickelt. Im Dienst war in dieser Zeit aber noch nichts Auffallendes
an Tammer zu bemerken. Sein Kollege Herr W. erzählt aus dieser Zeit lediglich
folgende Episode: Mitten in der Arbeit hielt Tammer plötzlich inne und wiegte
mit dem Oberkörper fünfmal hin und her, als ob er sich verbeuge. „Entschuldigen
Sie," sagte er zu W., „das ist das Zeichen meines verstorbenen Bruders,
der sich meldet. Ich muß eben aufschreiben, was er mir diktiert." Er nahm
darauf Zettel und Bleistift und schrieb eine Notiz auf. Dann arbeitete er wieder
ruhig und völlig korrekt an den dienstlichen Schreiben weiter. Den Inhalt
des Zettels zeigte er Herrn W. aber nicht, so offenherzig er sonst in bezug auf
den Spiritismus und die Entwicklung seines Mediumismus gewesen war. Ueber-
haupt berichten sowohl Herr M. und Herr W., als auch seine Wirtin Frl. I.,
daß er alle Zettel mit automatischer Schrift sorgsam vor fremden Augen zu
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