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Haase-Baudevin: Ein Falf v. psychischer Erkrankung infolge spirit. Praktiken. 303
hafte für Tammer behauptet er nicht gesagt zu haben.) Und ich weiß auch,
wann Sie zu Bett gegangen sind, Fräulein I., und wann Sie aufgestanden sind,
die Geisler haben es mir gesagt. Die Geister sagen mir überhaupt alles/'
Dann aber sei er brüsk an ihr, Frl. L, vorbeigegangen und habe sich in seinem
Zimmer eingeschlossen und nun fange er an, darin zu toben und schlage alles
kurz und klein.
Später stellte sich aber noch heraus, daß Tammer, als er von seiner nächtlichen
Wanderung zurückkehrte, ehe er nach Hause ging, erst bei dem praktischen
Arzt Dr. B. gewesen war und angegeben hatte, er fühle sich krank, er
wisse nicht, was ihm fehle, Dr. B. möge ihn doch untersuchen. Dr. B., der
von dem Spiritismus nichts wußte, scheint nun nichts Auffallendes an Tammer
gefunden zu haben. Er hat ihn eingehend körperlich untersucht, eine kleine
Herzschwäche festgestellt, ihn sonst aber für kerngesund erklärt. Tammer
ging darauf erst nach Hause.
Psychologisch sehr interessant ist hier die Krankheitseinsicht, oder besser
gesagt, die Erkenntnis des Spiritisten, daß seine fortgesetzten unmäßigen spiritistischen
Praktiken ihn körperlich und seelisch schwer schädigten und sein
Verlangen nach Rettung. Dies Verlangen ging aber nicht soweit, daß er dem
Arzt reinen Wein einschenkte, sondern in bezug auf den Mediumismus wurde
sorgfällig dissimuliert. Hätte Dr. B. eine Ahnung von der spiritistischen
Vorgeschichte des Patienten gehabt und sie ihm auf den Kopf zugesagt, so
wäre wahrscheinlich die Urteils- und Willenskraft Tammers noch zur rechten
Zeit gegen den „Geistereinfluß" gestärkt und Schlimmeres verhütet worden.
So aber wurde der Patient als völlig gesunder Mensch weggeschickt. Als also
Frl. I. Herrn M. Mitteilung von der Rückkehr Tammers gemacht hatte und ihn
bat, doch mitzukommen, damit er sich kein Leid antue, gingen dieser und der
Kollege T., Herr W., mit Frl. I. nach Tammers Wohnung in der N.gasse.
Dort standen schon ein paar Nachbarn vor der Tür, trauten sich aber nicht
rein, weil Tammer „tobe". Herr M. und Herr W. gingen aber in das Haus.
Mit Mühe gelang es ihnen, die Tür von Tammers Zimmer aufzubekommen,
gegen die dieser sich von innen stemmte. Er drohte sie totzuschlagen und
jammerte dazwischen immer wieder zu Gott um Erbarmen. Da Frl. I. gesagt
hatte, er habe einen Dolch und einen Revolver, waren sie auf der Hut. Endlich
gelang es ihnen, in das Zimmer zu kommen. Tammer halle in der Tat mit
einem Knüppel die Einrichtung stark demoliert. Er hatte einen Dolch in den
Händen und drohte M. und W. totzustechen, machte aber keinen eigentlichen
Angriffsversuch auf sie. Er soll sich in jammerndem Tone ungefähr so geäußert
haben: „Ach, lieber Gott, ich, nicht sie! Laß mich es nicht tun! Ich
muß es tun! Ach, lieber Gott, ich, nicht sie!" Auch soll er gesagt haben, es
tue ihm leid, wenn er sie töten müsse. „Bei M. ist dhs ja nicht so schliimm,
der ist ledig, aber du, W., hast Frau und Kinder!"
(Hier zeigte sich Desorientierung, denn es war gerade umgekehrt, W.
ledig und M. verheiratet.)
Und immer wieder soll er gejammert haben: „Ach du mein Gott! Erbarme
dich, Gott! Ach, lieber Gott, ich und nicht sie!" Dann schrie er, sie sollten zur
Schupo gehen und die stärkste Zwangsjacke holen, die sie hätten, für ihn den
^sündigen Menschen".
M. und W. verständigten sich nun durch Blicke und gingen dann beide zugleich
auf Tammer los, entwanden ihm den Dolch und hielten ihm die Hände fest.
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