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Haase-Baudevin: Ein Fal v. psychischer Erkrankung infolge spirit. Praktiken. 305
\J. sind wieder völlig normal", sowie der Hypnoliseur Wolfgang die Hypnose
anflicht. - Tammer isl solange „normal", wie seine Urteils- und Willenskraft
ge^en die spiritistische Hypnose, die in dem Inhalte der Kommunikationen
lieg!, standhält. Die Bewohner von Z. haben sich halbtot gelacht über
die Experimente Wolfgangs mit Tischlermeister K. und dein Bäckerssohn M..
aber mich haben sie, besonders im Vergleiche mit dem Fall Tammer /u
liefern Grübeln \eranlaßt.
Also M und W. war e» nun gedungen, Tammer auf sein Bett zu legen,
liier sagte Tammer /n M.: „Ja, der Dolch isl nun weg. der ist nicht mehr da:
-aber die Hutnadel, die Hutnadel von Fräulein 1., die steckt in meinem Herzen."
.,\a. lassen Sie mal sehen!" sagte M. gutmütig.
Tammer knöpfte Rock und Hemd auf. ,.Sehen Sie, hier isl der Kopf
\on Fräulein l.s Hutnadel, die in meinem Her/en steckt." ,,lch sehe nichts",
sagle Herr M
Da richtete sich Tammer halb auf, guckte an sich herunter und sagte:
,.\ch ja. ich habe mich geläusch!. Das ist ja gar keine Hutnadel, das ist eine
Warze."
(Hier scheint mir eine ganz läppische ..Geislersuggestion4' durch wieder
erwachende Urteilskraft des Patienten aufgehoben zu sein. Man muß
eben den Charakter der spiritistischen Kommunikationen genau kennen, um
auch das albernste und unmöglichste Wahnsystem eines kritiklosen Spiritisten
> erstehen zu können !v
Tammer schien in den nächsten Minuten überhaupt klarer zu werden.
Er erzählte Herrn M. und Herrn W. zueisl zwar wieder allerhand von seinen
Yersündigungsideen, besonder« sexueller \rl, behauptete unter anderem, er sei
schon mit zehn Jahren A aler gevesen und auf der ganzen Welt gebe es keinen
so sündigen Menschen wie ihn.
(Zugrunde liegt hier vielleicht eine Kinderspielerei, nie sie, besonders auf
dem Lande, ja öfters vorzukommen pflegt. \ ielleicht hat das kleine Mädchen
dann später wegen irgendeiner Krankheit einmal zu Bett gelegen usw. \u«
dieser Begebenheit könnte folgende spiritistische Kommunikation entstanden
sein* das Mädchen ist schwanger von ihm geworden, man ha1 es aber verheimlicht
: wie es mit Masern oder dergleichen zu Bett gelegen hat, hat es geboren,
das Kind ist umgebracht worden. Er. Tammer, ist ein ganz sündiger Mensch,
hat die Seelo des kleinen Mädchens verdorben, isl schuld am Tode des Kindes
usw. usw. So entsteht ein ganzes \crsündigungsvvahnsvsl'nn.)
Dann aber sagte Tammer plötzlich: .,Ich bin nicht verrückt, glaubt nicht,
daß ich \errückl bin! Soll ich es euch beweisen? Drei mal drei ist neun! ?seun
mal neun isl siebenundzwanzig usw.!" Bei neun mal neun hatte er sich
geirrt, aber es kann dies lediglich auf di<> ungeheuere Uebermüdung seines
Gehirns /urückzuführen sein.
Fn dem Augenblick trat Dr. B. ein, den man geholl hatte. Tammer erkannt«'
ihn sofort. Begrüßte ihn aber mit ,,DU'\ wie er überhaupt auch seinen Vorgesetzten
M. schon die ganze Zeit über mit .,DU" angeredel hatte.
,,Du bis! doch Dr. B. sagle er. ,,Was willst denn du?"
Als Dr. B. ihm nun eine Morphiumspi itze in den Arm geben wollte, fing
Tammer wieder an zu toben und wollte es sich durchaus nicht gefallen lassen.
M. und W. mußten ihn erst wieder überwältigen und dann gab Dr. B. ihm die
Spritze ins Bein Bald darauf schlief Tammer ein.
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