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Sichler: Ein Phantom als psychoanalytischer Fall.
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Ehepaars R. steht immer offen. Herr R. nahm sich nach dem Tode der Mutter
des Mädchens an.
Als sehr wichtig sind die Erlebnisse der Patientin am zwei Vortagen zu
erwähnen. So wurde sie etwa 10 Tage vorher von einem jungen Burschen zum
Schütteln eingeladen, der ihr seine Liebe gestand und sie unter der Haustür
küßte. Sodann wurde am Tage unmittelbar vor dem nächtlichen Anfall in der
Unterweisungsslunde die Zeil nach Ostern besprochen, in der Christus nach
seinem Kreuzestode den Jüngern in Jerusalem, Emmaus und Galiläa erschien,
was ihr einen schreckhaften, gespenstigen Eindruck hinterließ.
Die Analyse ergab in bczug auf die Beantwortung von Reizworten durch
assoziative Einfälle folgendes:
[Die Zeit 4*/2 Uhr:] Es ist die Stunde, die am Tage der Zeit des Schul-
Schlusses entspricht, wo sie gern nach Hause geht und unterwegs mit Kameradinnen
Spaß treibt.
[Schwarzer Gesellschaftsanzug:] Ein Herr S. der im Hause wohnt und oft
im Gesellschaftsanzug gekleidet ist, macht gern Spaße, benimmt sich ihr
gegenüber aber stets korrekt. Ferner fällt ihr ein, ein Schauspieler in
„Pygmalion" (B. Shaw), der, einen Professorensohn darstellend, sich eines
armen Blumenmädchens annimmt. Er und sein Freund kommen aus einer
Gesellschaft, sind feine Herren; der Freund ist gegen das Mädchen, der Professorensohn
heiratet es aber doch!
[Schmales Gesicht:] Der Professorensohn, der das Blumenmädchen heiratete,
hatte ein schmales Gesicht.
[Blond, blauäugig:] Blond und blauäugig ist Herr R. und auch sein Bruder,
der aber „weniger schön ist".
[Mit ernstem Ausdruck über sich geneigt:] Der ernste Gesichtsausdruck
paßt zu Herrn R. und auch dessen Frau. Es war, wie wenn man sich besorgt
über jemanden beugt, um dieson zu beobachten. Sie selber hat sich schon oft
derart über Frau R. gebeugt, wenn $iese krank war. In der Wohnung des
Ehepaars R. befindet sich ein Bild, wo ein junges elegantes Ehepaar in Gesellschaf
Isloüette sich über ein Kind beugt, die Frau wenigstens, während der
Gatte, vornehm und elegant hinter ihr steht. Der Herr gleicht mehr dem
Freund als dem Liebhaber in „Pygmalion".
[Berühren der Wange :J Herr R. neigt sich manchmal so über seine Frau,
wenn sie schläft und berührt sie so im Gesicht, wenn sie heiß ist. Sie selbst
macht es mit ihren Freundinnen in der Schule auch so.
[Ehepaar R.:] Sie hat den Wunsch, das Kind des Ehepaars R. zu sein.
Sie liest gern Geschichten von Waisen, denen es erst schlecht und dann gut
gehl. Die Ehe R. kommt ihr ideal vor. Sonst hörte sie viel Uebles von Männern.
Sie kommt sich als Waise vor. Ihre Kinderzeit verbrachte sie zum Teil in
der Krippe.
[Heiraten:] Nein, daran denkt sie nicht. Sie hat zu große Angst vor Geburten
; erschreckt über jede gravide Frau wegen der Schmerzen und der
eventuellen Todesgefahr. Sie hat öfters gehört, daß es übel gehen könne.
Als auslösende Faktoren des halluzinierten Phantoms sind die aufreizenden
Erlebnisse an den Vortagen (Liebeserlebnis und Erscheinungen Christi) anzusprechen
, nebst der sehr ungünstigen Schlafgelegenheit beim geheizten
Ofen. In der nach dem Freudschen Mechanismus der Vorstellungsverdichtung
einsetzenden unterbewußten Phantasietätigkeit identifiziert sie sich erstens
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