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ganaktion mit einer Organreaktion, während die nicht juckenden Erkrankungen
die reine Organaktion in die Erscheinung treten lassen. Zu der zweiten zwar
interessantesten und instruktivsten, aber leider seltensten Gruppe gehören neben
dem „Urphänomen" Fälle von hysterischem Gangrän, die verschiedenen llaut-
oedeme, Erytheme, Blutungen, Gürtelrose und Warzen; nach Bunnemann's Erfahrungen
auch die als schwierig zu heilen geltende Psoriasis. Die psychische
Beeinflussung der Warzen gehört zu den ältesten Erfahrungstatsachen der
Psychotherapie, und auf dem vorjährigen Dermatologenkongreß teilte Bloch,
Direktor der Zürichschen Universitätshautklinik mit, daß er in letzter Zeit alle
Warzen mit Erfolg weghypnotisieren lasse (also das altbekannte „Besprechen").
Psychologisch wichtig ist, wie mehrfach! betont wurde, der starke symbolische
Charakter der Phänomene. Blaurote Verfärbung einer Zehe z. B. als Ausdruck
einer „Besehneidungsangst", muttermalartige Verfärbung an bestimmten Hautstellen
als Erinnerungsbilder an gleichen Orts lokalisierte affektbetonte Beobachtungen
, psoriasisartige Ausschläge als der Ausdruck unlustbetonter ekelerregender
Erinnerungen und die immer wieder beschriebene und bisher so völlig undeutbare
„Stigmatisation ' bei religiös Ekstatischen Auch die Frage der Versehens
von Schwangeren wäre hier anzuschneiden. Der Mittler zwischen Psyche un4
Erfolgorgan, so wurde erklärt, ist in allen diesen Fällen der Sympathikus, der
große Unbekannte, wah? scheinlich in Gemeinschaft mit den Drüsen der inneren
Sekretion.
Schwarz-Wien erklärte, daß es eine eigene Sexualpathologie gar nicht
gäbe, sondern daß sich in den Sexualorganen die Erkrankung der ganzen Per^
sönlichkeit manifestiere. Da man die Neurose als Produkt einer Konfliktsituation
ansehen muß, so ist leicht einzusehen, daß auch unser eigener Körper zum
Anlaß eines inneren Konfliktes werden kann, der je nach der Veranlagung zu
lokalen Erscheinungen führt. Eine derartige psychophysische Konstitutionslehre,
meint Schwarz, sei eine ebenso dringende wie offene Frage. Und Schind-
ler-München sagte bei der Diskussion: „Das künftige Schicksal unseres (d. h.
des ärztlichen) Standes wird davon abhängen, ob wir uns endlich entschließen
können, die Psychoneurosen einerseits und den Seelenzustand des Kranken bei
organischen Krankheiten anderseits nicht nur zu berücksichtigen, sondern für
das eigentliche Gebiet unserer Kunst zu halten." Das aber will er nicht nur für
den Nervenaizt, wo es selbstverständlich sei, sondern für jeden praktischen Arzt
gesagt haben. Es liegt auf der Hand, daß damit die offizielle Heilkunde ein ganz
neues Gesicht gewinnt und, sie mag wollen oder nicht, ins okkultistische Fahrwasser
(getrieben werden wird. '
Wie Walthardt, der Direktor der Züricher Universitäts-Frauenklinik ausführte
, entwickeln sich zahlreiche psychisch bedingte Symptomenkomplexe im
weiblichen Genitale. Alle Krankheitserscheinungen dieser Art sind einer wirksamen
Behandlung durch kleine oder große Psychotherapie zugängig. Prof.
M e y e r - Tübingen behandelte den gleichen Gegenstand sehr ausführlich und
besprach unter anderem die den Okkultisten interessierende „eingebildete
Schwangerschaft" mit allen ihren entsprechenden körperlichen Erscheinungen»
den willkürlich beeinflußten Menstruationseintritt, Eintritt der Empfängnis,
sog. „Kopfuhr", die „Stigmatisation", alles aus jedem Zweifel gerückte seelische
hervorgerufene Vorkommnisse. Und er sprich ferner das kurze, aber zutreffende
Wort aus: „Gynäkologische Symptome haben, heißt noch nicht gynäkologisch
krank sein."
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