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366 Zeitschrift für Parapsychologie. 6. Heft (Juni 1927.)
Die bestürzte Witwe brachte diese Heiligenbilder, welche sie nach dem Hinscheiden
ihres Mannes von der Wand abgenommen hatte. Die Hand nahin die
Bilder und hängte sie selbst an die Wand über dem Bett, worauf sie auch den ihr
gereichten Weihwedel ergriff und ins Weihwasser eintauchend, die versammelte
Menge besprengte.
Die Tochter des Verstorbenen, die sich dem Bett näherte, wurde von der Hand
auf der Stirn bekreuzigt und auf dem Gesicht gestreichelt.
Einer der Anwesenden, der die Hand anfaßte, erzählte, daß sie sich ganz unkörperlich
, sehr weich anfühlte und schwer zu bezeichnen ist.
Aus der Umgebung kamen viele Neugierige zugereist, wobei die Polizei für
die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen mußte.
Da die Sache eine immer größere Verbreitung annimmt, dürfte auch bald
eine höhere Behörde eintreffen, um eine genaue Untersuchung einzuleiten.
Die Tochter und Witwe wurden bereits vom Arzt untersucht, der jedoch feststellte
, daß eine Veranlagung für Halluzination u. dgl. nicht vorliegt."
Aus einer weiteren Mitteilung der Zeitung „Unja", die einen vorläufig kurzen
Protokollbericht enthält:, ist noch zu entnehmen, daß die Tochter des Verstorbenen
, infolge des Verdachtes, daß sie als Urheberin des Spukes in Frage komme,
von der Polizei verhaftet worden war. Als jedoch die Erscheinungen trotzdem
nicht aufhörten, wurde sie wieder freigelassen.
Schließlich blieben die Phänomene nach einiger Zeit gänzlich fort, nachdem
erst der angebliche Spirit das Fortbleiben derselben vorher ausdrücklich angekündigt
hatte.
Das Protokoll ist von glaubwürdigen, ortsbekannten Personen, und zwar von
Dr. med. Fr. Wojcicki und Pfarrer Dr. A. Reczalski unterzeichnet.
Betrugsprozeß Günther-Geffers in Insterburg. Am 12. Mai 1927 wurde nach
12 stündiger Verhandlung Frau Günther-Geffers aus Königsberg i. Pr., Hintertrag-
heim 37, vom erweiterten Schöffengericht in Insterburg (Ostpreußen) von der Anklage
des Betruges (§ 263, RStGB.) freigesprochen.
Dieser „Hellseher"-Prozeß hat eine überaus interessante Vorgeschichte; denn
neben den medizinischen Sachverständigen (Medizinalrat Dr. Geißier und Gerichtsarzt
Prof. Nippe) spielte auch in diesem Prozesse Landgerichtsdirektor Dr. jur.
Hellwig-Potsdam, eine nicht unwesentliche Rolle. Die Anklageschrift vom 18. Februar
1926 zitiert aus Hellwigs Gutachten (2. Teil, S. 177) folgende Stelle:
„Nach den vielen Mißerfolgen, die man trotz der bei derartigen Untersuchungen
gegebenen erheblichen Schwierigkeiten Frau Günther-Geffers schon jetzt nachweisen
kann, scheint sich m. E. sogar eine fast an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit
dafür zu ergeben, daß Frau Günther-Geffers tatsächlich nicht imstande ist,
hellzusehen."
Medizinalrat Geißler sah in der Tätigkeit der Frau Geffers nur „eine Spekulation
auf die zum Mystifizismus neigende Geistesverfassung der jetzigen Zeit und
auf die Borniertheit derer, die nicht alle werden." Nach Prof. Nippe lagen (wie die
^Anklageschrift behauptet) in der hellseherischen Tätigkeit der Frau Günther-Geffers
überhaupt nur strafbare Handlungen.
Frau Günther-Geffers war vom 5. Dezember 1925 bis 12. Dezember 1925 in
Untersuchungshaft! Das Gericht hatte zunächst die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt
; auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft nahm das Verfahren aber seinen
Fortgang. Kurz vor der Hauptverhandlung wurde als Sachverständiger seitens des
Gerichts noch Dr. phil. Seeling-Berlin geladen. Der Termin drohte der Vertagung
zu verfallen, da ein Sachverständiger am Erscheinen Verhindert war. Das Gericht
wühlte den Ausweg, auf alle Sachverständigen zu verzichten, also auch die Staatsanwaltschaft
verzichtete auf ihre Sachverständigen. In der Verhandlung wurden
46 Zeugen vernommen und die Frage der Gutgläubigkeit in den Vordergrund
gerückt.
Die Aussagen dieser 46 „Belastungs"-Zeugen bezogen sich auf insgesamt
25 selbständige Handlungen. Der „rechtswidrige Vermögensvorteil" betrug nach
der Anklageschrift in den einzelnen Fällen 3—-100 RM. Ein Landwirt sollte durch
die Leistung von 5 Pfund Bienenhonig am Vermögen geschädigt sein.
Die „positiven" Fälle kamen aus dem angeführten Grunde nicht zur Erörterung
Immerhin ist das für diese Fälle in Frage kommende Publikum von besonderem
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