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Glogau: Zur Fernwirkumg Sterbender.
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erlebnis. Die Kranke selbst kam mit keinem Wort mehr auf die Erlebnisse
zurück. Als sie aber nach zweimonatlichem Krankenlager mit ihrer Familie
die erste Ausfahrt machte, dabei den Friedhof mit dem Grab ihres kleinen
Söhnchens besuchte und von meinem Vater schließlich gedrängt wurde, an die
Rückfahrt zu denken, sagte sie: „Erst wollen wir noch Lenchens Grab besuchen
." Mein Vater versuchte, ihr auch ietzt noch den Tod auszureden, da
stand die schon damals fast völlig Erblindete auf, tastete sich ein paar Gräberreihen
entlang und fiel vor dem frischen Grab ihres Lieblings auf die Knie.
Auf meine Geschwister, mich und meinen Vater machte die erhabene Entschiedenheit
der Visionären einen so .starken, bannenden Eindruck, daß wir sie
nicht hindern und das Geschehnis nicht wieder vergessen konnten. Herr Dr. P.
wurde dann später der Gründer eines spiritistischen Zirkels in Potsdam, von
dem auch die damalige Kaiserin Auguste Viktoria und ihre Hofgesellschaft
erfaßt wurde. Nach meiner Auffassung ist das Erlebnis als telekinetischer raps
der Sterbenden und spontanes Hellsehen der sensitiv veranlagten Kranken im
Delirium zu erklären. Irgendein Spuk nach der Verwesung trat nicht auf.
Zweiter Fall: Mein 28 iähriger, mütterlicherseits stark psvchopathisch be-
lasteter Sohn ,hatte sich nach schieren Konflikten seit zwei Jahren dem Vater-
hause so sehr entfremdet daß ich nicht mehr wußte, wo er sich aufhielt. Er
studierte vordem Naturwissenschaften und Medizin und interessierte sich gleich
mir sehr für okkultistische Probleme. Wir haben oft die Frage transmortaler
Existenz mit dem Versprechen des Versuchs gegenseitiger Aeußerung besprochen.
Ich verheiratete mich nach dem im Irrenhaus erfolgten Tode seiner Mutter kurz
nach seiner Trennung mit einer letzt 24 jährigen Dame, die ihn nur einmal
flüchtig gesehen und gesprochen hat, und die mit beiden Füßen auf realem
Wirklichkeitsboden steht. Nach einem heiter verlebten Abend des 12. Juli v.J.
hörte meine Frau kurz vor dem Einschlafen die elektrische Türglocke läuten.
Sie lief — in Vermutung eines Nachttelegramms — ',an das Slraßenf enster, als
es zum zweitenmal läutete. Niemand vor der Tür, während es zum drittenmal
läutete. Auch die Absuchung des Korridors ohne Ergebnis, dabei aber ein ausgesprochenes
Gefühl, als suche sich jemand hinter der Vorgartenmauer zu verbergen
. Ich versuchte ihre Unruhe durch die Annahme nächtlicher Ruhestörung
angeheiterter Studenten eines Verbindungshauses der Nachbarschaft zu zerstreuen.
Vergeblich, sie hielt bis zur nächsten Nacht in Erwartung eines drohenden
Verhängnisses an. Kurz nach dem Abdrehen der Schlafzimmerlampe Lichtphänomen
menschengroßer Gestalt verwischter Kontur, ydas sich von der Straßenseite
des Wohnzimmers über das Schlafzimmer zur Gartentür bewegt, zuerst
von meiner Frau, dann von mir gesehen. Beruhigungsversuch durch vorgespielte
Erklärung irgendeines Lichtreflexes der Hinterhäuser. Dann aber
plötzlich einsetzendes, mehrstimmiges Hundegeheul vom Garten aus, wie ich es
noch nie gehört habe. Zeitfeststellung 12.25 Uhr nachts, Bleistiftnotiz i.3oUhr
Erwachen aus kurzem Schlaf durch Weinkrampf meiner Frau, die mir nach
völligem Erwachen darstellt, daß sie im Dämmerzustand in einer ihr fremden
Wohnung die Zyankalivergiftung eines mir sehr ähnlichen Mannes beobachtet
habe, den Versuch eines jungen aus der Nachbarschaft gerufenen Arztes und
kurz darauf die Assistenz eines zweiten, bärtigen, älteren Arztes miterlebt habe,
die mit Magenspülungen, Antidosen, Massage, Tie flegung usw. eine Stunde
lang Wiederbelebungsversuche gemacht hätten. Nach tiefem Schlaf am nächsten
Morgen Wiederholung ihrer Erzählung der Hausangestellten gegenüber mit der
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