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Renz: Ein Astralgesicht oder was sonst?
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Ein Astralgesicht oder was sonst?
Mitgeteilt von Dr. med. G. Renz, San Francisco.
Attsdem Englischen von Dr. R. Feilgen hauer, Köln.
I. Bericht des Gatten einer verstorbenen Patientin des Dr. Renz.
War ich einer Sinnestäuschung unterworfen oder plötzlich hellsehend geworden
in den letzten fünf Stunden, die unmittelbar dem Scheiden meiner
lieben Frau vorausgingen, das ist für mich heute eine Streitfrage, deren befriedigende
Lösung, wie ich fürchte, mir wohl niemals zuteil wird.
Ehe ich nun zur Erzählung der kleinen Begebenheit schreite, möchte ich zu
Nutz und Frommen des Lesers unbedingt vorausschicken, daß für mich weder
alkoholische Getränke noch Kokain oder Morphium in Betracht kommen, indem
ich fast strenger Abstinent bin. Auch bin ich keineswegs nervös oder phantastisch
. Vielmehr gelte ich als kaltblütig, ruhig und besonnen und durchaus
alledem ungläubig gegenüberstehend, was man mit Spiritismus bezeichnet, daß
geistige, für das sterbliche Auge sichtbar werdende Körper, Materialisationen
u.dgl. wirklich vorkommen. Ja, ich bin sogar solchen Theorien ein geschworener
Feind.
All meinen Freunden ist bekannt, daß meine Frau am Freitag, den
23. Mai 1902, ein Viertel vor 12 Uhr nachts von hinnen schied. Am gleichen
Nachmittag nach 4 Uhr war mir die Gewißheit gekommen, daß ihr Tod mir
noch die Frage von wenigen Augenblicken sei. Um sie herum versammelt waren
einige meiner vertrautesten Freunde, ihr nahes Ende erwartend, wie auch der
behandelnde Arzt mit zwei geprüften Krankenpflegerinnen das Bett umstanden.
Die rechte Hand der Kranken in der meinigen haltend, saß ich an der Seite. Die
Freunde waren im Zimmer verteilt, einige saßen, andere wiederum standen.
Kein Wort verlautete, alle lauschten angestrengt auf das immer schwächer
werdende Atmen und den Augenblick, da es ganz aufhören würde und die 'Seele
den Körper verlasse. So vergingen z^ei Stunden, und noch keine Aenderung
war eingetreten. Der Diener lud zum Diner ein, aber niemand war geneigt,
dieser Aufforderung zu einer Stärkung nachzukommen; Gegen 1/27 Uhr forderte
ich doch dringend unsere Freunde, den Arzt und die Krankenschwestern auf,
sich zum Diner zu begeben, da man ja nicht wissen könnte, wie lange sich noch
die Nachtwache hinziehen würde und man doch nicht sich so lange der Speise
enthalten sollte. So verließen denn alle, gehorsam meines Winkes, das Zimmer.
Eine Viertelstunde später, also i5 Minuten vor sieben — ich weiß dies so
genau, weil auf dem Toilettentisch eine Uhr sich befand, die mir zugewandt
war —, sah ich unwillkürlich einmal nach der Türe und bemerkte, wie drei
getrennte, indes deutliche Wolkenschichten in das Zimmer hineingeweht wurden.
Jede Wolke schien eine Ausdehnung von etwa vier Fuß in der Länge zu haben,
sechs bis acht Zoll in der Breite, und die unterste war zwei Fuß von dem Boden
entfernt; die anderen schienen in Zwischenräumen von etwa sechs Zoll sich
zu bewegen.
Mein erster Gedanke war nun, daß einige unserer Freunde (und ich muß sie
heute noch deswegen um Verzeihung bitten) vor dem Schlafzimmer ständen,
Zigarren rauchend, und die Rauchwolken drängen ins Zimmer ein. In diesem
Gedanken sprang ich auf, um ihnen meine Ungehaltenheit kundzugeben, aber
da stand niemand an der Türe, noch war jemand auf dem Gang oder in den
Nebenzimmern zu sehen.
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