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Zeitschrift für Parapsychologie. 8. Heft. (August 1927.)
Es nützt unseren Aprioristikern nicht viel, wenn sie ihre Dogmen mit gewissen
Worten Kants umkleiden. Denn erstens ist es zum mindestens zweifelhaft
, oh Kant wirklich der mechanistische Dogmatiker gewesen fst, welchen
manche unserer deutschen Neukantianer aus ihm zu machen versuchen. Nach
meiner Ueberzeugung bedeutet sein Begriff der Kausalität durchaus nicht nur
mechanische Ursächlichkeit. Aber selbst wenn das der Fall wäre, dann hätte
er eben, unbeschadet seiner Größe, in diesem Punkte Unrecht gehabt. Er selbst
aber, wahrhaft „kritisch", wie er war, würde der Letzte gewesen sein, eine
Kritik seines eigenen „kritischen** Buches anzuweisen.
Ich bin hier ein bißchen ausführlicher über die Gefahr des Apriorismus
gewesen, da ich selbst gerade hier, mit Rücksicht auf mein eigenes biologisches
Werk, über recht viele Erfahrungen verfüge. Ich kann wirklich sagen, daß ich
jene Geistesenge, von der wir gesprochen haben, aus eigener Erfahrung kenne,
mehr in der Tat, als mir lieb ist. Der aprioristische Dogmatismus, den ich bei
der Aufnahme meines Vitalismus angetroffen habe, bezieht sich freilich auf
einen Punkt, der dem, welcher uns angeht, nur verwandt ist. Denn niemand
hat die Ergebnisse meiner Versuche als Tatsachen in aprioristischer
Weise bezweifelt. —
Das bringt mich nun zu dem zweiten Punkt meiner theoretischen Methodologie
im Gebiete unserer Wissenschaft: Glaube nicht, daß neue
Tatsachen notwendigerweise durch die bereits vorliegenden
Erkläru ngsmittel verstanden werden müssen.
Eben diese Art von Dogmatismus ist es gewesen, welche die Ausbreitung
meiner vitalistischen Lehre verzögert hat. Alles muß auf mechanischer Grundlage
erklärt werden, so sagte man mir. Man sagte es ohne jeden Grund. Denn
das Prinzip der Ursächlichkeit verlangt nur, daß ein Ereignis irgendeinen
Grund habe, sagt uns aber a priori gar nichts über dessen Natur.
Diese zweite Form des aprioristischen Dogmatismus ist nun eben auch ein
großes Hindernis für viele parapsychologische Theorien. Wenige leugnen ja
heute noch Telepathie und Gedankenlesen als Tatsachen. Aber manche Leute
glauben, daß diese Erscheinungen mit den Mitteln der normalen Physik, also
etwa mit Strahlungen oder dergleichen, erklärt werden müssen.
Eine solche Erklärung ist nun aber ganz anmöglich, wie ich in meiner
Londoner Präsidentenrede x) kurz ausgeführt habe. Die Widerlegung der Strah-
lÄngshypothese als solche glhört freilich nicht eigentlich hierher"; L bewegen
uns ja auf rein methodologischem Gebiet. Es ist daher für uns genügend, unser
zweites Prinzip einer Methodologie, die sich auf Theorien bezieht, in der sehr
allgemeinen Form ausgesprochen zu haben: „Glaube nicht, daß Neues durch
Altes verstanden werden müsse/* wobei wir die Frage offen lassen, ob es
das „könne**. Vielleicht „kann* es das gelegentlich, aber nie „muß" es das.
Das allein geht uns an; wogegen meine tatsächliche Widerlegung der Slrah-
lungstheorie der Telepathie sich auf eine bestimmte Erscheinung bezieht, welche
nun eben sicherlich auf diese Weise nicht erklärt werden kann.
Die beiden Dogmen, von denen wir geredet haben, sind unsere theoretischen
Hauptfeinde, erstens also, daß parapsychologische Tatsachen „unmöglich** sein,
und zweitens, daß sie, wenn sie nicht geleugnet werden können, mechanisch
erklärt werden „müssen**. Und es war so leicht, diese Feinde zu schlagen. —
~~ i) ProcTs. P. R. London, Part. 99, Vol. XXXVI, 1926, S. 171. Deutsch in dieser
Zeitschr. Oktoberheft 1926, S. 608.
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