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Zeitschrift für Parapsychologie. 8. Heft. (August 1927.)
das zweite der Fall ist, zerlege sie in Elemente. Hast du das getan, so versuche
die Umstände auszufinden, unter denen jene Tatsache sich ereignete. Du wirst
finden, daß einige dieser Umstände tmumgänglich notwendig sind, andere nicht.
Hier kann das Experiment einsetzen: verändere die Umstände, indem du ihre
einzelnen Bestandteile änderst oder auch einen Bestandteil fortläßt. Geschieht
im letzteren Falle das Ereignis doch, so darfst du sagen, daß der ausgelassene
Umstand keine Bedeutung für es hatte; geschieht es nicht, so stellte der in Red©
stehende Paktor höchstwahrscheinlich eine notwendige Bedingung dar. Auch
ohne Experiment kann man ein ähnliches Ergebnis erreichen, indem man in der
Natur Tatsachen ähnlicher Art unter verschiedenen Bedingungen beobachtet und
vergleicht. Das Experiment bringt aber natürlich die Dinge in schärferer Weise
unter unsere Kontrolle, ist indessen mitunter nicht möglich.
Diese unbefangene Betrachtung der Tatsachen, wie sie sind, hat mich
auf dem Felde der Biologie zu meinen theoretischen Ergebnissen geführt. Ich
ging nicht aus von der Ueberzeugung, daß es sich um mechanische Tatsachen
handeln „müsse". Ich bildete mir einen eigenen Begriffsapparat an der Hand
der Tatsachen. Dann kam der letzte Schluß, nämlich der Vitalismus, sozusagen
von selbst zutage. Ganz ebenso muß unsere Parapsychologie vorgehen. —
Ich gebe nun einige Beispiele für das Gesagte. Telepathie, Gedankenlesen
und Hellsehen können gleichermaßen im wachen Zustande, während des Schlafes
und während der Hypnose geschehen, und im ersteren Falle können sie bewußt
beabsichtigt sein oder nicht. Dies zeigt, daß der Seelenzustand des Mediums für
ihr Eintreten gleichgültig ist. Aber es gibt auf der anderen Seite persönliche
Unterschiede zwischen den verschiedenen Medien, indem das eine nur im wachen
Zustande, das andere nur im Schlaf, das dritte nur im Trance übernormaJe
Fähigkeiten zeigt; und das eine kann vielleicht mit seinem bewußten Willen
andere Personen beeinflussen, während das andere nur die Fähigkeit unterbewußter
, spontaner Telepathie besitzt. Wovon hängen diese persönlichen Differenzen
ab? Und was ist der Unterschied zwischen einem Medium und einer sogenannten
normalen Persönlichkeit? Ist vielleicht jedes mensehhche oder
sogar jedes lebendige Wesen potentiell ein Medium? Und könnte es möglich
sein, aus jedem Wesen durch gewisse Mittel ein Medium zu machen? Hängt
die Mediumität vielleicht nur von der Lage der sogenannten Bewußtseinschwelle
ab?
^ Hier haben wir eine Menge Fragen vor uns, alle erstanden aus einer sorgfältigen
Zergliederung der Tatsachen und der Umstände.
Dasselbe gilt nun auch von einem anderen Problem: Dem Problem der
Uebertragung zwischen Sender und Empfänger. Gelegentlich scheint hier die
Anwendung der Strahlungstheorie möglich zu sein, z. B. im einfachsten Fall des
Gedankenlesens, d. h. bei der sogenannten Außenverlegung der Sinnesempfindungen
, bei welcher der Empfänger die Empfindlichkeit seines eigenen Körpers
eingebüßt hat, aber die Schmerzen oder Gerüche des Hypnotiseurs mitempfindet.
Hier könnte ja ein gewisser Zustand im Gehirn des letzteren vorhanden sein,
welcher auf das Gehirn des Mediums, nach Analogie harmonisch abgestimmter
Stimmgabeln, übertragen wird; das Medium würde alsdann die Empfindung des
Hypnotiseurs miterleben. Aber es gibt andere Fälle, z. B. das Lesen eines zusammengefalteten
Briefes oder die spontane Telepathie, in denen diese Möglichkeit
nicht in Frage kommt, und deswegen ist die Strahiungstheorie sicherlich
nicht allgemein anwendbar.
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