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Driesch: Die Methoden der parapsychologischen Theorienbildung.
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der, welcher sich wirklich betätigte, war ein Geist. So ist der „Animismus'*
durch den „Spiritismus'1 ersetzt; und das ist die Hauptsache. Schon William
J ames hat eine solche Ansicht im gewissen Sinne vertreten, wie wir noch sehen
werden.
Das zweite sind die Kreuzkorrespondenzen: Mehrere Medien geben
uns Einzelheiten, welche nur zusammengesetzt einen Sinn haben und von einem
Verstorbenen herzurühren scheinen. —
Dieses also sind die beiden Gruppen von Tatsachen, von denen ursprünglich
der wissenschaftliche Spiritismus ausging. Jetzt gilt uns also der Spiritismus
als eine angenommene Lehre, natürlich als eine hypothetische. Denn es
ist beim auswählenden Gedankenlesen unmöglich, echtes Gedankenlesen aus
lebenden Personen absolut auszuschließen, mag es auch eben wegen seines
auswählenden und personifizierenden Charakters unwahrscheinlich sein; und
bei den Kreuzkorrespondenzen könnte es sich um eine telepathische Beeinflussung
unter den Medien handeln. Aber der Spiritismus erklärt hier auf eine
weniger künstliche und sozusagen elegantere Art — wie ja auch der Mather
matiker den einen Beweis eines Lehrsatzes „eleganter" als den anderen nennt.
Der Spiritismus kann natürlich verschiedene Formen haben. Es mag persönliche
Unsterblichkeit geben im eigentlichen Sinne, oder es mag da ein gewisser
Uebergeist vorhanden sein, in den hinein die einzelnen Geister im Moment
des Todes verschwinden, um unter den Bedingungen des Versuches wieder aus
ihm hervorzutreten. Das zweite wäre keine eigentliche persönliche Unsterblichkeit
(Oesterreich). Ja, es möchten sogar künstliche Persönlichkeiten aus
jenem Uebergeiste hervortreten, welche mehr oder weniger früher lebenden Personen
gleichen, wie das bei der sogenannten Bewußtseinsspaltung im irdischen
Leben der Fall ist (William James, McKenzie). Wir wollen uns aber
hier um diese Unterschiede nicht kümmern. —
Nachdem nun also der Spiritismus als Hypothese aufgestellt ist, fragen wir
uns, was seine Konsequenzen sind, und ob diese Konsequenzen oder wenigstens
einige von ihnen sich als Tatsachen auffinden lassen. Untersuchen wir
diesen Gegenstand lediglich im Rahmen des üblichen Spiritismus, d.h. desjenigen
, welcher die verstorbene vormals lebende Persönlichkeit noch als Persönlichkeit
existieren läßt, sei sie in unerkennbarer Form Teil eines Ueber-
geistes oder nicht, sei sie noch in der Zeit oder „zeitlos".
Wir müssen nun, wie mir scheint, die Erörterung dieses Punktes mit einer
allgemeinen Bemerkung beginnen: Den Spiritismus als eine Hypothese einführen
heißt nicht den „Animismus" vollständig verabschieden. Beide sind
möglich, so muß der kritische Spiritist sagen: das sogenannte Gedankenlesen
, welches tatsächlich auf die Wirkung eines Geistes zurückgeht, und das
eigentliche Gedankenlesen, das auf der übernormalen Fähigkeit des Mediums
ruht. Denn es liegt kein Grund vor, bei solchen Erscheinungen wie der Außenverlegung
der Sinnesempfindung oder der spontanen Telepathie im Falle großer
Gefahr immer die Wirkung eines Geistes zu Hilfe zu nehmen. Und bei vielen
Fällen von Hellsehen liegen die Dinge ähnlich; wenn Herr Kahn den Inhalt zusammengefalteter
Briefe kennt, so steht er doch wohl höchstwahrscheinlich nicht
unter dem Einflüsse eines echten Geistes.
Aber anderseits sind nun für den Spiritismus lebender Geist und verstorbener
Geist letzthin von derselben Art. Der verstorbene Geist
scheint nur einen höheren Grad abnormer Fähigkeiten zu besitzen, als der
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