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Zeitschrift für Parapsychologie. 8. Heft. (August 1927.)
sind, daß sie die spiritistische Hypothese, welche natürlich zunächst auch nur
eine Hypothese im Rahmen der Erscheinung ist, stützen, dann muß man
weiter zugeben, daß diese Hypothese selbst auf eine wirkliche Grundlage bezogen
werden kann. Denn alle Besonderheiten im Rahmen der Erscheinung
entsprechen metaphysischen Besonderheiten1), wenn man einmal die Möglichkeit
der Metaphysik überhaupt zugegeben hat. Gewiß, wir sind unfähig, zu wissen,
in welcher Form Geister an sich existieren können, ob sie noch in der Zeit sind
oder zeitlos, ob sie als Persönlichkeit existieren oder als Teil einer Ueberperson.
Aber daß da im Reiche der Dinge „an sich" etwas sein muß, was ihnen entspricht
, das können wir wissen. Und wir können auch wissen, daß es von geistiger
Art sein muß; denn sonst könnte es nicht in der Form von Geistern erscheinen
.
Daher müssen wir sagen: Entweder überhaupt keine Metaphysik und nur
Solipsismus, oder aber eine metaphysische Grundlage der Gegenstände und Tatsachen
j eder Wissenschaft und daher auch der Parapsychologie,
einschließlich aller möglichen Formen dieser neuen Lehre.
Entelechie und Gestali2)
Von Univ.-Prof. Karl Gamillo Schneider, Wien.
Wenn wir unsere heutige Wissenschaft zu charakterisieren suchen, so ist zu
betonen ihre Hochschätzung des Stoffes und ihr Widerwillen gegen die Form.
Damit ist nicht gesagt, daß eine rein materialistische Orientierung vorliegen,
müsse, die überhaupt vom Geistigen als objektivem Weltinhalt nichts wissen
will, vielmehr kann auch der Form ein objektiver Wert zugestanden, kann in
der Natur allerhand Form entdeckt werden, so daß der krasse Materialismus
des vorigen Jahrhunderts, die reine Energielehre, überwunden erscheint. Jn
diesem Sinne ist z. B. auf die Relativitätstheorie hinzuweisen, die im Gravitationsfeld
ein rein mathematisch zu erfassendes Formfeld neben den stofflichen
elektromagnetischen Feldern erkennt und es von diesen aufs schärfste
unterscheidet. Trotzdem besteht der Widerwille, denn der Form wird Selbständigkeit
gegenüber dem Stoffe abgesprochen, das Gravitationsfeld z. B. als
abhängig vom Energiegehalt der Massen in seiner Auswirkung hingestellt. Damit
nun wird man wohl der Natur gerecht, worauf hier nicht eingegangen
Verden soll, aber nicht im geringsten 3em Leben, das ohne besondere Betonung
der Form gar nicht verstanden werden kann. Ich will damit nicht sagen,
daß man hier den Stoff neben der Form vernachlässigen darf und in letzterer
überhaupt das eigentlich Vitale zu sehen hätte, was ja in Hinsicht auf das
psychische Erlebnis sich von selbst widerlegt, erleben wir doch in den Empfin-
dungsqualitäten unzweifelhaft Stoffliches, und zwar so stark, daß wir es ganz
gewiß in seiner Bedeutung nicht unterschätzen können. Wie hoch der Stoff einzuschätzen
ist, werde ich bald darzulegen haben, doch gibt es nun in der Tat
Forscher, die in das idealistische Gegenextrem verfallen und nur die Form
als bedeutsam für das Leben anerkennen. So z. B. der bekannte Vitalist Hans
Driesch, der genauer als Formvitalist zu bestimmen ist. Driesch betont die
Entelechie, das ist die morphologische Gestalt der Organismen, als die eigent-
*) Hierzu vergleiche man meine Wirklichkeitslehre, 2. Aufl. 1922,
sowie das kleine Werk Metaphysik, 1924.
2) Vortrag, gehalten am 30. 4. im Wiener parapsychischen Institut.
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