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Tiere eine psychische Umwelt ausbauen, die es für die Pflanzen nicht gibt. Die
Pflanzen arbeiten ihr ganzes Leben lang nur an der Ausgestaltung ihres Körpers,
die Tiere aber verfügen über eine mehr oder minder scharf abgesetzte Handlungsperiode
, in der sie sich nicht mehr entwickeln, sondern sich nur bewegen,
und zwar im Rahmen einer Umwelt, die sie bewußtheitlich sich selber schaffen.
Ihr Bewußtsein wächst über den Körper hinaus, d. h. aber nichts anderes, als
daß es die eigne Qualitätsanlage auf die Umweltdinge projiziert, die dabei als
Objekte erlebt werden. Aber diesen Objektbegriff muß man mit Vorsicht behandeln
. Wir müssen uns dabei ins Bewußtsein der Tiere hineinversetzen, das
die Dinge nicht um ihrer selbst willen, um Kenntnisnahme derselben willen anschaut
, sondern für das sie nur Antriebe sind des eignen Verhaltens. Das Motorische
ist hier bedeutungsvoller als das Sensorische. D. h. zwischen den Objekten
und dem Subjekt besteht eine Kausalbeziehung, die ins Bewußtsein der
Tiere fällt, besteht ein Bedürfniszusammenhang, auf dessen Befriedigung es
ankommt; es besteht, wie ich mich ausdrücken möchte, ein dynamisches
Feld, in dessen Banne das Tier handelt. Zugleich erlebt es den Raum um
sich her, denn die Ziele des Wirkungsfeldes verteilen sich ja über den Raum; in
all seinen Bewegungen offenbart das Tier Kenntnis der Objektanordnungen, der
räumlichen Perspektive, und da nun der Piaum nichts anderes ist als das Gravitationsfeld
, das die Trägheitsbewegungen der Massen beschleunigt und
verzögert, so erlebt das Tier eine doppelte Kausalsphäre, von was allem die
Pflanze keine Ahnung hat. Kausalerlebnis, das Objekt und Subjekt miteinander
verbindet, ist das wesentliche an der tierischen Handlung, nicht etwa
handelt es sich hier um ein reines Objekterlebnis, in dem die Umwelt als etwas
Selbständiges auftritt. Nur als Vorbereitung zu einem solchen können wir das
tierische Erlebnis auffassen, jenes kommt nun a"ber bei den Naturmenschen zur
Geltung, und damit endlich stehen wir vor dem Erlebnis der Gestalt.
Beachten Sie wohl, was ich Ihnen eben vorgetragen habe. Das tierische Kausalerlebnis
bedeutet einen Schritt von der Qualität zur Gestalt, denn im Räume
verliert die Qualität ihre vitale Selbständigkeit und ordnet sich als echt Psychisches
leicht der Gestalt ein, mit der sie im Organismus oft direkt im Kample zu
liegen scheint. Wir wissen ja auch, von welcher Bedeutung das Gestaltserlebnis
bei der Handlung ist, indem es eigentlich als Ergänzung des Raumerlebnisses
sich darstellt. Sicher erlebt das Tier, wie die neuere Psychologie zur Genüge
gezeigt hat, die Umwelt ebenso in Formen eingekleidet wie wir, denn nach der
Form der Objekte richtet sich ja offenkundig sein Verhalten. Aber sieber ist
doch auch, daß die Gestalt nicht das wesentliche für das Tier ist, sondern einerseits
die Empfindungselemente als Ziel der Bedürfnisse und
anderseits der Raum als das Hauptregulativ der Bewegungen;
demgemäß eben charakterisiert sich das Bewußtsein als ein kausales, wie es
einem ausgesprochenen Handlungswesen ziemt. Aber mit den Tieren schließt
ja nicht die biologische Entwicklung ab, sondern es folgen nun die Naturmenschen
, die Primitiven oder Wilden, die wir gar nicht anders als Erfahrungswesen
bezeichnen können, da für sie das Objekt zum erstenmal um seiner selbst willen
existiert. Da ist nun dem Formalerlebnis Tür und Tor geöffnet, da dringt die
Ges talt siegreich aus dem Unterbewußtsein ins Bewußtsein vor. Ganz selbständig
, ganz stoffrei ist sie ja auch hier nicht! Das ist überhaupt unmöglich,
denn das hieße, daß sie vom Bewußtsein frei wäre, und das ist natürlich ein
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