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Nonsens. Doch damit müssen wir uns etwas genauer beschäftigen, handelt es
sich doch dabei um ein Fundamentalproblem.
Ich sagte schon, daß es in der Natur auch Forin gibt, daß sie hier gleichsam
schlummert, nur in Abhängigkeit von der Materie zur Geltung kommt. Das
Bewußtsein ist aber der große Naturverwandler, und so holt es aus dieser heraus,
was darin steckt, nicht bloß die Form, sondern auch Stoff und Kausalität, die
wir bereits berücksichtigt haben. Doch gehen wir hier systematisch vor.
Zunächst wird die Substanz aus der Natur herausgeholt und verwandelt.
D. h. die Natur wird im Assimilationsakte in lebendige verwandelt, und da wird,
genauer bestimmt, aus dem Kraftgehalte der Natur Leben. Kraft ist das unbewußte
synthetische Band der Natur, das nun im Leben zum Bewußtsein erwacht
— was heißt das eigentlich? Nichts anderes, als daß dem Geschehen ein Ziel
gesetzt wird in einem vorgezeichneten Plane, in der Idee, die gleichsam als Vorbild
über dem Stoffe schwebt. Von der Idee wird gleich die Rede sein, jedenfalls
entsteht Zielstrebigkeit als elementares Lebensbewußtsein, und das ist erste
Naturverwandlung. Die zweite ist Verwandlung des Stoffes selbst in Qualität
. Materie ist nicht Qualität, sondern Energie, und als solche ewiges Geschehen
, ein ununterbrochener Wechsel, ein Niebeisichselbersein, dem nur durch
die Kraft bestimmte Aeußerungsbahnen angewiesen werden; sie ist das panta
rhei des Heraklit, und erst im Lebendigen gibt es Qualität, als Setzung des
Entwicklungsbewußtseins, das ich als Empfindung charakterisierte. Eine dritte
Verwandlung betrifft die Kausalität. Sie ist in der Natur als Zufall gegeben
, als Wahrscheinlichkeit, wie ja die neuere Physik mit Evidenz erwiesen
hat; aus diesem Zufall aber macht das Leben Zweck, und zwar ganz besonders
klar im Handlungsbewußtsein, dessen Wesen direkt Fihalität ist. Die vierte Ver •
Wandlung endlich betrifft den Formgehalt der Natur, der als Periodizität
gegeben ist, nun aber als Idee im Leben aufersteht, vor allem im Erfahrungsbewußtsein
direkt erlebt wird. Alle Naturvorgänge sind als periodische geformt,
aber diese Periodizität wandelt sich im Leben zur Sinngestalt, denn die Idee ist
ja das Ziel des Lebens, von dem ich sprach. Sie ist das dem lebendigen Stoffe
verbundene Vorbild, das er sien immer umfassender einverleibt, das erst als
Entelechie in den Subjekten sich auswirkt, dann als Sinngestalt die Objekte beherrscht
. Im Erfahrungsbewußtseiii ordnet es sich die Qualitäten gänzlich
Sater. Im Handlungsbewußtsein kommt die Gestalt schon als Einkleidung der
bjekte wirkungsvoll zur Geltung, doch bleibt das Teleologische noch unterbewußt
, das nun aber im Erfahrungsbewußtsein siefhaft vordringt, wird doch
hier die Finalität alles organischen Geschehens in der Gestalt erlebt, die nun
erst ganz ihren ungeheuer reichen Gehalt offenbart.
Prüfen wir das Verhältnis der Gestalt zum Stoffe im Erfahrungsbewußtsein
etwas näher. Von Dominanz der Gestalt muß man reden in den Vorstellungen
, die man ja abgeblaßte Wahrnehmungen nennt, weil hier die Farbe
gegen die Form zurücktritt. Aber auch, wo die Farbe mitbetont wird, wie etwa
in den künstlerischen Vorstellungen, ist sie doch nicht das wesentliche, sondern
dient nur der Heraushebung der Form. Das ist vor allem der Fall bei den
künstlerischen Schöpfungen der Naturmenschen, für die das Gestalterlebnis
so bedeutsam ist, also z. B. für die farbigen Felszeichnungen der Buschmänner
, auch der Urmenschen, die ja nichts als Naturmenschen waren, und
denen die Farbe immer nur diente zur Unterstreichung der Form. Einen Impressionismus
gab es und gibt es bei den Naturmenschen nicht. Man denke hier
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