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Kraus: Kritische Bemerkungen zu Richard Baerwalds Okkultismus u. Spiritismus. 505
die Seele auf den Körper wie den Körper auf die Seele wirken, daher heißt
ia die Lehre Hypothese der Wechsel wirkuner.
Und füglich könnte man auch fragen, wem denn von beiden Denken,
die ^Naturwissenschaft mehr verpflichtet ist, Spinoza oder
Leibni z?
Baerwald, um nichts unversucht zu lassen, was den Gedanken der individuellen
Unsterblichkeit lächerlich, ja geradezu unvernünftig und unangenehm
erscheinen läßt, verweist unter anderem darauf, wie unerwünscht es wäre,
im Jenseits alle jene Alltagsmenschen und Philister wieder zu finden, die uns
etwa hier in einem Trambahnwagen zusammengepfercht begegnen. Er zitiert
einen Humoristen:
„Soll ich unter Sternengewinden
Wirklich, wenn alles glückt und klappt,
Alle die Braven wiederfinden,
Die das Schicksal zusammengepappt?
Soll ich1 die Schlampe mitsamt dem Neffen
Und den heringduftenden Greis,
Und die Jungfrau, der es so heiß*
Und die Basen dort wiederfinden? ...
Denn so schön auch die Englein singen
Sicherlich oben im ewigen Licht,
Aus der Elektrischen kann ich steigen,
Aus dem Himmel kann ich es nicht."
Ich habe Sinn für den Humor dieser Verse. Aber unangenehme Menschen
hat der Dichter und Herr Baerwald auch schon außerhalb der Elektrischen getroffen
; doch hat bisher das Mißbehagen an seinen Mitmenschen jene Herren
nicht bewogen — und wird sie, gottlob, auch in Zukunft nicht bewegen —
dieses Erdenleben zu verlassen, um^ jenen Gesellen nicht mehr zu begegnen.
Dem Leben auf dieser Erde aber kann man noch weit schleuniger ein Ende
machen als einer Trambahnfahrt. Und jene Unsterblichkeitshasser und -leugner
hätten dabei obendrein die Sicherheit, nun ein für allemal der ihnen so
verhaßten und unebenbürtigen Gesellschaft entflohen zu sein! Sie nehmen aber,
wie es scheint, unzählige unangenehme Zeitgenossen in Kauf, um hier weiter
leben zu können und werden es daher auch drüben tun, sogar wenn ihnen, noch
weit unangenehmere begegnen sollten.
Abgesehen hiervon aber ist mit der Ueberzeugung von dem Weiterleben in
anderen Lebensformen die Hoffnung verknüpft, daß es sich um höhere und
fortschreitende vollkommenere Formen handelt, so daß die Herren, falls ein
jenseitiges Leben mit Wiedererinnerung und Wiedererkennung verknüpft sein
sollte, vielleicht sogar einmal freudig überrascht feststellen können, daß sich der
„heringduftende Greis' ebenso zu seinem Vorteil verändert hat, wie sie selbst
und alle anderen!? Allein die Hypothese der Unzerstörbarkeit der seelischen
Substanz — von JuliusRobert Mayer als ebenso gesichert angesehen, wie
das von ihm entdeckte Gesetz von der Erhaltung der Energie — verla«ngt in
ihrer Konsequenz durchaus nicht eine Beibehaltung der irdischen Lebensformen.
In irgendeiner Weise freilich muß die Seele, soll sie wieder denkend werden,
einen Ersatz für jene Leistungen erhalten, die das Gehirn und Nervensystem,
mit einem Worte das Physische und Organische für die Bewußtseinsvorgänge
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