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Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1927.)

Experiment, die Grundlagen der modernen Naturwissenschaft, in Sachen der
Paraphysik nicht entscheidend sein, weil sie keine Sicherheit zu bieten
vermögen.

Nun weist Professor Charles Richet in seiner Studie „Des conditions de
la certitude" (Proceedings d. S. f. Psy. Res. Juliheft 1926, Seite 423) mit Recht
daraut hin, daß die moralische Gewißheit keineswegs identisch
ist mit der mathematischen. Diese Gleichsetzung verschiedener
Bewertungsmaßstäbe ist ein grundsätzlicher Denkfehler in der gegnerischen
Logik. Möge ein Beispiel das veranschaulichen, was man unter Gewißheit
versteht.

So hat man keineswegs eine mathematische absolute Gewißheit dafür,
daß das kürzlich vom Metropolitain Museum in New York für eine Million
Dollars angekaufte Werk von Tizian wirklich1 ein authentisches Gemälde aus der
Hand dieses Meisters ist. Niemand aus der lebenden Generadon war zugegen,
als dieses Bild gemalt wurde. Nur eine große Reihe von Faktoren sprachen
lediglich als Beweismomente für die größte Wahrscheinlichkeit der Authentizität
des Meisters; mag man dieselbe auf 90 oder 98 Prozent schätzen — ein
\ absolut sicherer Beweis erscheint hier unmöglich. Dagegen spricht auch der

Umstand, daß heute bereits ein italienischer Kunstexperte die Echtheit dieser
tizianischen Arbeit auf Grund eingehender historischer Studien anzweiCelt.

Auch der bekannte Psychiater Professor Bleuler betonte in seinem kürzlich
vor den Züricher Studenten gehaltenen Vortrag (vgl. Zeitschrift für Para-
psychologie, Aprilheft 1927, S. 235), daß Beweise (im strengen Sinne dieses
Wortes. D. Verf.) außer auf dem Gebiet der Mathematik überhaupt nicht erbracht
werden können. Er sagt darüber u. a.: ,„Die uns scheinbar selbstverständliche
Tatsache, daß ich vor Ihnen siehe und einen Vortrag halte, ist eine
Annahme, die sich überhaupt nicht beweisen läßt. Ebensowenig kann man
irgend etwas auf dem strittigen Gebiet des Okkultismus beweisen (d. h.
mathematisch beweisen) ... So wahr ich hier stehe und einen Vortrag halte,
so wahr habe ich selber die von mir berichteten Phänomene erlebt, nämlich
eine gelungene Versuchsreihe auf dem Gebiet der Telepathie, ein Spukphänomen
in der Irrenanstalt Rheinau und schließlich eine Anzahl positiver Sitzungen
mit Rudi und Willy Schneider, welche die Tatsache der Telekinese und der
^scheinbaren Materialisation demonstrierten."

Man kann also für die Tatsächlichkeit okkultistischer Vorgänge keim'
größere Gewißheit fordern, wie sie in anderen Zweigen menschlicher Betätigung
und Wissenschaft üblich und anerkannt ist. Man vergegenwärtige sich
hierbei die historische und gerichtliche Beweisführung. So haben Erkenntnisse
und Urteile auf diesen Gebieten immer nur eine relative Bedeutung und tragen
meist nur einen mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeitscharakter.
Außerdem sind, wie Richet richtig bemerkt, die Grade der Gewißheit außerordentlich
verschieden. Daß Karthago und Troja existiert haben, ist nicht
so sicher erwiesen als z. B. die Existenz von München und Berlin. Daß Kain
den Abel wirklich getötet hat, wie wir es aus der Bibel erfahren, erschein^
keineswegs als Faktum von gleicher Zuverlässigkeit wie die Ermordung Cä&ars
durch Brutus.

Und diese historische Tatsache hinwiederum gilt nicht als ebenso sicher
beglaubigt, wie z. B. der Mord an der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich.


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