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v. Schrenck-Notzing: Die Beweisführung in (kr Paraphysik. 515

Historisch© Dokumente und richterliche Urteile stehen o£t genug auf viel
schwächern Füßen als die okkulten Talbestände. Denn sie hängen vielfach
ausschließlich ab von menschlichen, allen möglichen Fehlerquellen unterworfenen
Zeugnissen und lassen sich außerdem nicht vergleichen mit den
Ergebnissen einer experimentellen Untersuchung, die es ermöglicht, das fragliche
Faktum nach Herstellung seiner kausalen Beziehungen so oft hervorzurufen
und unter veränderten Versuchsbedingungen zu prüfen, bis der Grad
der Wahrscheinlichkeit für die Existenz dieses speziellen Geschehens jenen
seelischen Zustand in dem Experimentator erzeugt, den wir als „Gefühl
moralischer Gewißheit" bezeichnen.

Der Grad der Sicherheit wächst mit der Zahl und der Qualität der Quellen,
sowie mit der zunehmenden Anpassung an das Erlebnis im Sinne der Gewohnheit
.

Richet führt folgendes treffende Beispiel aus der Anatomie an: „Flourens
zeigte, daß die Abtragung des Kleinhirns Gleichgewichtsstörungen nach sich
zog. Das Experiment wurde tausendfach wiederholt, besonders bei Tauben und
Säugetieren; sonit dürfte es den Aerzten bekannt sein, daß jede Läsion des
Kleinhirns Schwindel und muskuläre Inkoordination hervorruft. Diese Tatsachen
sind absolut sichergestellt. Aber der italienische Physiologe Luigi
Luziani bewies dann außerdem, daß mit den Gleichgewichtsstörungen ein
Muskelschwund einhergeht. Seine Experimente sind überzeugend, so daß sie
ebenfalls als gesichert gelten können. Aber ihre Wiederholung bietet außerordentliche
Schwierigkeiten; es gehört eine ungewöhnlich feine Beobachtungsgabe
sowie große operative Geschicklichkeit und angestrengte Aufmerksamkeit
dazu, um das Faktum des Muskelschwundes nach der Abtragung des Kleinhirns
konstatieren zu können. In demselben sehen wir also eine sichergestellte Tatsache
, die aber trotzdem weniger sicher erscheint als diejenige der Inkoordination
.*'

„Somit variiert der Grad der Sicher heil in der Wissenschaft je nach der
Häufigkeit der Tatbestände und nach der Möglichkeit ihrer Wiederholung, je
nach der Leichtigkeit oder Schwieiigkeit einer Feststellung durch Apparate
und nach der mehr oder minder starken Kontrolle."

Auch in den Feststellungsmethoden für das Erscheinungsgebiet der Telepathie
und des Hellsehens wird die Stufe einer mathematischen Sicherheit
niemals erreicht.

So entzifferte z. B. der polnische Ingenieur Ossowiecki, einer der bedeutendsten
Hellseher unserer Zeit, während des parapsychologischen Kongresses
in Warschau, richtig den Inhalt eines ihm von mir vorgelegten, aber in
London bereits angefertigten und versiegelten Briefes, der ein großes, braunes
Kuvert besaß. Niemand von den Anwesenden kannte den Inhalt des Briefes
. Der ebenfalls in Warschau anwesende, aber dem Versuch nicht beiwohnende
englische Gelehrte Mr. Dingwall vertraute mir das Schreiben an und
war der einzige Mensch, welcher in Warschau den Inhalt kannte. Rein logisch
gedacht, besteht nun die Möglichkeit, daß Ossowiecki und Dingwall betrügerisch
zusammen gearbeitet haben, daß also der polnische Ingenieur heimlich
von Dingwall vor der Sitzung den Inhalt des Schreibens erfahren hätte — in
Wirklichkeit eine absurde und in keiner Weise zu rechtfertigende Annahme.
So ist auch hier der Grad der Sicherheit für die Tatsächlichkeit einer hell-

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