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Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1927.)
1. „Die negativen Momente entscheiden all es , die positiven gar nichts, und
2. ein einziges negatives Moment, das den Verdacht vorliegender
Tricks erweckt, zerstört natürlich sämtliche positive . . . Unmöglich darum
(...), die positiven und negativen Momente auf zwei Schalen der Wage zu
legen und zu sehen, welche Schale die schwerere wird."
Methodologische Erwägungen mit solcher Rangordnung der Momente bedingen
natürlich für den Forscher eine Geisteshaltung, in der er sein Hauptaugenmerk
mit einer gewissen Erpichtheit und Ausschließlichkeit auf alles
Negative, auf Betrug und Selbsttäuschung richten wird, um den Daseins- und
Soseinsurteilen der Positivgläubigen ein apodiktisches Urteil: a ist nicht, entgegensetzen
zu können.
Dr. Baerwald empfiehlt diese grundsätzliche Einstellung noch durch Nützlichkeitserwägungen
, also durch eine argumentatio ab utili, ohne eigentlichen Erkenntniswert
:
a) sie habe zur Entlarvung etlicher ausgesprochener Schwindler geführt;
b) sie habe uns einen Großteil der vorhandenen Tricks kennen gelehrt;
c) sie habe die Kunst der Kontrolle entwickelt.
Die Seele der Baerwaldschen Auffassung findet sich jedoch in dem
Schlußabsatze seines Briefe*; sie bringt in dem entsagungsvollen Bekenntnis
»um Skeptizismus zugleich ein wertvolles Zugeständnis: „Ich bin gar kein
Negativer; den Beweis dafür, daß alles Schwindel sei, halte ich für noch un-
eiDringlicher, als den der Echtheit der Phänomene."
Zu dem gleichen Unvermögen, die Wahrheit zu entscheiden, bekennt er
sich in dem Absatz, der die Rolle der berufsmäßigen Taschenspieler als Wahrheitszeugen
behandelt:
„Die Tricks, die nur einzelnen bekannt sind, bilden ein ganz unmeßbares
Gebiet und darum stellen die kategorischen Aussagen: dies ist taschenspiele-
risch nicht nachzuahmen! die Inanspruchnahme eines Wissens dar, das niemand
besitzt.44
Durch diesen Zweifel an unserer Erkennungsfähigkeit, die dem Unglauben
, aber auch dem Glauben die Tür offen läßt, unterscheidet sich die Baer-
waldschule von der Richtung Moll-Dessoir.
Moll, der seinen eigenen Kampf um die Anerkennung des Hypnotisimus
g^nz vergessen zu haben scheint, ist der unbedingte und unentwegte Verneiner
, der nicht dem geringsten Zweifel Raum gibt, daß „alles Schwindel",
bestenfalls Selbsttäuschung sei. Er ist der Geist, der stets verneint.
Dessoirs Auffassung, die im Laufe der Zeit die verschiedenartigsten
Schwankungen durchgemacht hat, ist etwas vorsichtiger. Er bekennt sich
zu dem sogenannten Restwesen. Noch sei es nicht möglich gewesen, alle
Rätsel mit den vorhandenen Mitteln der Erkenntnis aufzulösen; es habe sich
»och ein Rest gefunden, der der Aufklärung trotze; aber alles berechtige
zu der Erwartung, daß auch dieses Restwesen seine natürliche Erklärung finden
werde.
Baerwald hingegen, dem der Zweifel im Gebälk seines eigenen Lehrgebäudes
sitzt, ist der Montaigne unserer Forschung, der stets die Zweifelfrage
auC den Lippen hat: Que sais-je?
Und nun nach einiger übersichtlicher Gliederung der Lehrmeinungen
Dr. Baerwalds die eigentliche Auseinandersetzung zunächst mit seinen beiden
heuristischen Lehrsätzen:
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