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Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1927.)
es, den gesamten Mediumismus anzuzweifeln, weil es einzelne betrügerische
Medien gibt.
Man glaubt doch auch an echtes Geld, obwohl es Fälschungen gibt. Du
Prel nahm sogar einen Standpunkt ein, der dem Baerwalds diametral entgegengesetzt
ist. Er erklärte, daß ein einziger Fall, wenn er einwandfrei
als echt nachgewiesen sei, genügen müsse, um alle übrigen glaubhaft zu
machen.
Ganz sicher ist es falsch, die Häufung und Vielgestaltigkeit
der beobachteten okkulten Erscheinungen als unerheblich zu bezeichnen und
die „unschwer zu beschaffenden Wagenladungen dieses Stoffes" zu bagatellisieren
. Gerade diese Häufigkeit des Vorkommens ist so eindrucksvoll, daß
allein auf Grund der vielen geschichtlichen Zeugnisse, von denen viele bestbezeugt
sind, Schopenhauer, Eduard v. Hartmann, Perty, Lombroso und ein
Geschichtsschreiber des Okkultismus Gesare Baudi di Vesrne trotz des Mangels
an persönlicher Erfahrung zum Glauben an okkulte Erscheinungen gelangten.
Schopenhauer hat es geradezu als einen Beweisgrund der Wirklichkeit
okkulten Geschehens hingestellt, daß die überreiche Fülle der Erscheinungen,
die aus allen Zonen und Zeiten berichtet werden, in vielen, scheinbar selbst
belanglosen Einzelheiten eine auffallende Uebereinstimmung aufweisen, die
durch Ueberlieferung nicht zu erklären seien.
Daß wir keinen lückenlosen Beweis antreten können, ist das Schicksal
aller auf Induktion angewiesenen ErfahrungsWissenschaften, die zum Unterschied
© von den mathematischen Wissenschaften nur wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit
erreichen können. Diese wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit
, mit der wir uns bescheiden müssen, die aber im praktischen Leben
zur lebendigen Ueberzeugung werden kann, nimmt in eben de<m Grade zo
als wir die streng geprüften positiven Ergebnisse häufen können.
Herr Dr. Baerwald hat auf den großen Nutzen hingewiesen, den der
konsequente Zweifel für unsere Forschung mit sich gebracht hat. Ich erlaube
mir, eine Gegenrechnung darzureichen.
Gerade dieser Beargwöhnung der Medien ist es zu Lasten zu schreiben,
daß viele von ihnen der Forschung dauernd verlorengehen. Auf Frau Silbert
beispielsweise hat diese Beargwöhnung durch typische unwissende „Entlarver"
nq^hrere Monate hindurch geradezu lähmend gewirkt. Wir haben außer ihr in
Graz noch zwei andere physikalische Medien von erstaunlicher Kraft, die aber
aus den geschilderten Gründen ängstlich beflissen sind, keinerlei Kunde \on
ihren medialen Fähigkeiten in die Oeffentlichkeit dringen zu lassen.
Eine spätere Zeit wird geradezu die Hände über den Kopf zusammenschlagen
über die grundverkehrte psychologische Behandlung, die wir unseren
Medien zuteil werden lassen. Sie, die fast durchgängig von einer fasit
mimosenhaften Empfindsamkeit sind, stellen wir von vornherein unter den
kränkendsten Verdacht. Sägt eine solche Forschung nicht den Ast ab, auf
dem sie sitzt? Wie ©in Alpdruck liegt der lähmende Einfluß der Be&rugjst-
hypothese, die zum ranghöchsten Arbeitsprinzip gemacht wird, auf dem
Mediumismus.
Anstatt die Kräfte des Mediums durch eine Tolerierung seiner meist
spiritistischen Einstellung zur vollsten Entfaltung zu bringen, zerstören wir
sie durch erniedrigenden unverhüllten Verdacht.
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