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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0555
v. Droste zu Hülshoff: Annette von Droste zu Hülshoff als Spökenkiekerin. 539

in den Garten, nachdem sie in ihrer Verwirrung 3en Schlüssel auf der Brücke
in die das Haus umgebende Gräfte geworfen hatte. Von weitem hört sie die
Mutler eifrigst nach dem Schlüssel suchen. Doch das Suchen am Abend wird
eingestellt und auf den nächsten Morgen verschoben. Als Annette dann später
in ihrem Bettchen lag, sandte sie heiße Gebete zum Himmel um Hilfe. Im
Trancezustande (auch hier kann man nicht von einem Traume sprechen) sah sie,
wie eine milde und gütige Frauengeslalt herantrat. Diese ErnsterLe ihr zu: „Habe
keine Sorge! Der Schlüssel, den du in die Gräfte warfst, wird morgen früh
oben auf dem Schranke liegen!" Am anderen Morgen war ihr erster Gang zu
dem Schranke und siehe da, der Schlüssel lag richtig auf demselben!

In der Osternacht 1822 erlebte dann Annette, daß sie sich selbst mit einem
Lichte in der Hand aus dem Hause gehen und durch die Ostersänger hindurch-
schreilen sah. Die Ostersänger waren selber der felsenfesten Ueberzeugung, daß
Annette durch ihre Reihen hindurchgegangen sei. Sie hatte aber ihren Platz am
Fensler ihres Schlafzimmers gar nicht \erlassen! Annette hat nach gelegentlichen
Aeußerungen noch mehrere derartige transzendentale Visionen gehabt, in seinem
\ollen Verlauf Ist uns leider nur dieses einzige Erlebnis bekannt. In den späteren
Lebensjahren hören wir weniger von solchen Erlebnissen Annettens, namenllich
seil sie sich (leider erst reichlich spät) von allen fremden Einflüssen emanzipiert
halle, die als Wünsche oder Einreden ihr freies Schaffen beirrten. Erst nach
dieser Emanzipierung konnte sich ihr erhabener Dichtergeist freier entwickeln
und war nicht mehr in dem Maße wie voiher tiefgehenden seelischen Erregungen
ausgesetzt.

In Verbindung mit dem Spökenkieken war früher im Münsterlande auch die
Gabe des sogenannten „Wassertretens" verbreitet. Es ist das für die mit dieser
Gabe behafteten Personen die Fähigkeit, über Wasserflächen dahinzuschreilen
ohne unterzusinken. Als die Teiche um die alte Wasserburg llülshoff früher
nach Westen zu noch ausgedehnter waren wie heute, lag mitten im Wasser eine
Insel mit einem Pa\illon, wo die familie gewöhnlich nachmittags zu weilen
pflegte. Eine kleine hölzerne Brücke verband die Insel mit den Gartenanlagen.
Es sind nun mehrere Fälle ausdrücklich bezeugt, daß Annelte zur Abkürzung des
Weges einfach über das Wasser zu der Insel ging und auch wirklich heil und
trocken überkam. Erst die flehentlichen Bitten ihrer Angehörigen haben sie von
derartigen Exkursionen weiterhin abgehallen. Ueber diese im Menschen schlummernde
eigenartige Gabe des Wassertretens ist bislang wenig bekannt geworden.
Bemerkenswert ist, daß sie meist bei Personen auftrat, die mit dem „Zweiten,
Gesicht" behaftet waren. Ueber den Grad des Zusammenhanges läßt sich aber
jetzt kaum mehr etwas feststellen.

Man pflegt Annelte Droste nach dem Sprachgebrauch des Münsterlandes als
„Spökenkiekerin" zu bezeichnen. Das Fernsehen und die transzendentalen
Visionen kommen auch heute noch bei einzelnen Personen vor, und zwar in
dner Form, daß ihre Existenz gar nicht abgeleugnet werden kann. Es handelt
sich hier um ihrem Wesen nach noch nicht genügend bekannte menschliche
Fähigkeiten. *)

J) Anm. der Red. Wir haben den Herrn Verfasser, übrigens ein Großneffe
der berühmten westfälischen Dichterin, gebeten, sich zu dem überaus seltsamen
Phänomen des „Wassertretens" genauer zu äußern, und wenn möglich, Belege für
das Bestehen dieser Gabe bei Annette beizubringen. Freiherr Droste zu Hülshoff
hat zugesagt, demnächst einen besonderen Bericht darüber zu liefern.


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