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Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1927.)
Man könnte vielleicht meinen, es sei überflüssig und zum mindesten voreilig
, schon jetzt über die Frage zu theoretisieren. Ich meine dagegen, daß es
sogar notwendig ist, nicht vorerst bei den Beobachtungen stehen zu bleiben,
sondern zu versuchen, sie in einen verständlichen Zusammenhang einzuordnen,
es muß nur ohne Dogmatismus und mit dem Bewußtsein geschehen, daß all
dergleichen nur vorläufig sein kann. Diese theoretischen Ueberlegungen sind
aber um so notwendiger, da von anderer Seite diese Strahlungen als „Gedankenwellen
" proklamiert werden und man glaubt, damit das Problem der
Telepathie gelöst zu haben. Demgegenüber muß betont werden, daß dieser
Beweis keineswegs geführt ist, ja daß vieles dagegen spricht und daß noch
andere Auffassungsmöglichkeiten bestehen.
Wenn man aber auch der Meinung ist, daß Gazzamalli nicht die „Gedankenstrahlen
" gefunden hat, so sind die Untersuchungen trotzdem sehr verdienstlich
, ist es ja der erste Versuch, mit allen Mitteln der heutigen Technik
der Frage nach vom Gehirn ausgehenden Strahlen nachzugehen, ein Verdienst,
das auch bestehen bleibt, wenn das von manchen erhoffte Ziel, die telepathische
Gedankenstrahlung nachzuweisen, nicht erreicht werden sollte.
H. D. Bradleys neues Werk „Die Weisheit der Götter.1)
Von R. Lambert.
Es ist ein wahres Verhängnis für den Fortschritt der Parapsychologie, daß
so viele wackere Männer, die sich nur schwer für unsere Wissenschaft gewinnen
ließen, einmal gewonnen, nach kurzer Zeit keinerlei Verständnis mehr haben für
die Forderungen, die ein vorsichtiger Forscher an parapsychologische Untersuchungen
stellen muß und die sie selbst kurz zuvor noch für selbstverständlich
hielten. In besonders tragischer Weise trifft dies für den ausgezeichneten englischen
Schriftsteller H. D. Bradley zu, dessen erstes okkultistisches Werk „Den
Sternen entgegen" ich vor etwa Jahresfrist hier fast begeistert besprochen habe
(Z. f. P. 1926, S. 566/70). Schon damals allerdings hob ich hervor, daß Bradley
und seine Freunde „mit der vollen wissenschaftlichen Schärfe geführte Untersuchungen
als kindische Pedanterie verachten"; auch betonte ich, daß bei den
Leistungen des berühmten Mediums für direkte Stimme Valiantine die physikalische
Seite der Phänomene, eben die direkte Stimme als solche, mir wegen
^Bradleys mangelhaften Kontrollmaßnahmen (Dunkelheit, Nichthalten Valian-
tines) fraglich scheine, wogegen ich, wie auch noch heute, einen jjroßen Teil
der Mitteilungen der „Geister" unbedingt für übernormal ansprechen mußte.
Seitdem hat sich Bradleys Verachtung wissenschaftlicher Methoden wesentlich
gesteigert und zugleich wurden er selbst und seine Frau Medien für direkte
Stimme, wobei sich seine Reizbarkeit so steigerte, daß er jeden Zweifel und
jedes Verlangen nach Kontrolle als Beleidigung empfindet. Dies macht zum
mindesten die physikalische Komponente der von ihm beobachteten Phänomene
höchst problematisch.
Als der gewiß wohlwollend eingestellte Sir Oliver Lodge ihm schrieb, um
das Phänomen der direkten Stimme wirklich beweiskräftig zu machen, sei
wenigstens eine gewisse Kontrolle Valiantines unerläßlich, antwortete ihm Bradley
unter anderem: „Wenn irgend jemand vorschlagen wollte, mich zu kon-
1) H. D. Bradley, „The Wisdom of the Gods." London. T. Werner Laurie 1925.
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