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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1927.)
Die Bedeutung der Parapsychologie für Drieschs Metaphysik
Von Dr. Gustav Zeller, Harburg.
Drei überragende Verdienste bezeichnen die Forschungsarbeit Drieschs: Einmal
die experimentelle Begründung des Vitalismus, sodann die Schaffung
einer neuen umfassenden Metaphysik auf induktiver Grundlage, und als
drittes die Einbeziehung der Parapsychologie in sein philosophisches
System. Die beiden letzteren Punkte mögen hier einer kurzen Betrachtung
unterzogen werden, und zwar in der Richtung auf die Frage: Welche Bedeutung
hatdie Parapsychologie für DrieschsMetaphysik?
Bekanntlich trennt Driesch Logik oder Ordnungslehre, wie er sich ausdrückt,
scharf von Metaphysik oder Wirklichkeitslehre. Beide gehen aus von dem Gedanken
: Ich erlebe (habe) bewußt etwas, ein Ausgangspunkt seiner Philosophie,
den Driesch mit Augustin und Descartes gemeinsam hat. Beide, die Ordnungslehre
wie die Wirklichkeitslehre, behandeln inhaltlich ungefähr denselben Gegenstand
, es ist das Bild der Welt, wie es sich dem Auge des Philosophen bietet.
Aber beide treten mit verschiedenen Fragen und unter verschiedenen Gesichtspunkten
an die Untersuchung des Weltbildes heran. Die Ordnungslehre
fragt vom vorläufig solipsistischen Standpunkt aus, ohne das An sich der
Dinge zu prüfen: Was bietet sich mir in den einzelnen Wissensgebieten, der
Logik im engeren Sinn, der Natur- und Seelenlehre, der Kulturphilosophie, der
Aesthetik an geordnetem, gesichertem Wissen dar? Dabei zeigt es sich, daß der
solipsistische Standpunkt, der sich aus dem Ausgangspunkt des Philosophierens,
Ich erlebe bewußt etwas, ergab, sich angesichts der Tatsachen der Na(ur, der
Seele oder Eigenerlebtheit und des sittlichen Fühlens von selbst aufhob, und
zwar aus Oidnungsgründen, also um gesichertes Verstehen des Weltbildes zu
ermöglichen. Und nun beginnt die Aufgabe der Wirklichkeilslehre. Sie
stellt unter Wiederholung der inhaltlichen Probleme der Ordnungslehre überall
die Frage nach dem An sich der Dinge. Gibt es ein An sich? Können wir etwas
über sein So sein wissen? Und welcher Art wäre dann dies An sich oder Wirkliche
, wie Driesch es nennt? Dabei zieht Driesch sowohl das Etwas, d. h. das
Objekt, die unbelebte und belebte Natur und ihre tieferen Hintergründe, als
auch das Ich, das Wahres erkennende und irrende Subjekt, in den Kreis seiner
Betrachtung. Driesch kommt im Laufe seiner Untersuchung zu dem Ergebnis:
Es g i b t ein Wirkliches und wir können auch eine Reihe von Aussagen über
seine Beschaffenheit, die so sein muß, daß sie die Erscheinung oder Erfahrung
erklärt (,,mitsetzt4', wie er sich ausdrückt) machen. Das Wirkliche kann nicht
weniger mannigfaltig sein als die Erscheinung (Satz vom Mannig faitigkeits-
grade). Während also Kant zwar das Vorhandensein des Dings an sich behauptet
, aber die Erkennbarkeit desselben in jeder Hinsicht für unmöglich erklärt
hatte, hält Driesch ein Erkennen des Wirklichen in gewissen Grenzen für durchaus
möglich. Also z. B. dem Tisch, dem Stuhl vor uns, die wir nur in der Form
der Erscheinung vor uns haben, muß im Wirklichen, im Ding an sich ein Ähnliches
entsprechen, beide können sich im An sich nicht gleich sein, sonst würde
sich uns in der Erscheinung nicht dieses Bild ergeben.
In dieser Weise ist es möglich, das ganze Bild der Erscheinung auf das Blatt
der Wirklichkeit hinüberzuschreiben. Und beim wissenden Subjekt, dem Ich,
ist dies Hinüberschreiben gar nicht nötig. Hier fällt Erscheinung und Ding an
sich gewissermaßen zusammen. Oder genauer: Das Ich weiß etwas ist nach
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