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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1927.)
schließendes Urteil erst erlaubt sein, wenn man das Verhältnis der zutreffenden
zu den mißglückten Fällen sämtlicher Prophezeiungen kenne,
was natürlich für immer ausgeschlossen ist. Ich bin aber sicher, daß der
Bruch verschwindend klein ist.
B. Ich teile diese Meinung1) und füge noch hinzu, daß die Folgerungen!
aus der Prophetie vernichtend für das sein würden, was ich den Sinn den
Welt nennen möchte. Wer aber an einem Sinn der Welt zweifelt, der denk©
einmal darüber nach, ob wir auch nur diesen Begriff haben könnten,
wenn sie keinen hätte.
A. Mensch und Freund, ich fange an mich dafür zu interessieren, was
du für die übrigen parapsychischen Phänomene vorzubringen hast.
B. Ich kann es kurz dahin zusammenfassen, daß sie in den Rahmen der
normalen seelischen Erscheinungen — diesen Ausdruck erlaubst du ja
wohl trotz deiner Ablehnung der Seele — hineinpassen, zumal es auch hier
geheimnisvolles genug gibt, dessen Tatsächlichkeit kein Mensch leugnet.
A. Ich habe zwar keine Ahnung, worauf sich deine letzten Worte beziehen
, aber wenn es so wäre, so würde das allerdings jene Phänomene ihrer
Unheimlichkeit entkleiden.
B. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, daß die schlichteste
Wahrnehmung schon durchaus rätselhaft ist?
A. Das ist sie doch wohl nur insofern, als Materie wahrgenommen
wird. Indessen mit dem Dualismus von Materie und Bewußtsein muß man
sich eben zufrieden geben, und schließlich kann man es auch, weil die Materie
doch nur als Vorstellung zu haben ist, also überhaupt nur Seelisches
— ich gebrauche der Kürze halber nun aucn diese Redeweise — zu haben ist.
B. Betrachten wir den Wahrnehmungsvorgang näher. Mein Gehirn empfängt
einen Reiz. Was im Gehirn geschieht, sehe ich nicht, sondern etwa eine
Rose „da draußen'4, oder ich habe eine Berührungsempfindung an einem Ohr,
oder ich höre singen. Und diese Spezifität meiner Empfindungen ist nicht
an fest lokalisierte Stellen des Gehirns gebunden, denn an vielen Hirnorten
könnte unter Umständen der spezifische Zustand entspringen, als dessen
Folge die spezifische Wahrnehmung eintritt. Ist das nicht zum verwundern?2)
Sind wir nicht hellseherisch im schlichten Wahrnehmungs- und Empfindungsakt
? Und sind es die Tiere mit ihren „Instinkten" nicht in unvergleichlich
höherem Maße als wir gescheiten Menschen?
A. Mag meinetwegen das auch ein Hellsehen sein, so ist es doch Tatsache
, die schlechthin jeder Mensch erlebt.
B. Also fehlt dir zur Anerkennung des parapsychischen Hellsehens nur
noch, daß du in höchsteigener Person einmal hellsiehst.
A. Sei doch nicht so giftig. Du siehst über den verdammt großen Unterschied
leichtfertig hinweg, der zwischen beiden Sorten des Hellsehens besteht.
Dort kenne ich den Reiz, hier werden unbewußte Affektionen vorausgesetzt.
B. Ueber diese Kluft gibt es eine Brücke. Um dir zeigen zu können, muß
ich dich in eine logische Einöde führen.
1) Hier muß ich bemerken, daß Driesch die Prophetie neuerdings nicht mehr
ablehnt. Der Verf..
2) Hierzu empfehlen wir dem Leser die interessante Schrift: „Das Problem
der exzentrischen Empfindung und seine Lösung, von Ernst Marcus, Sturmv r ag
Berlin 1918.
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