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B. Besinne dich auf dich selbst genau: Wohl erlebst du Ordnung, du
hast Geordnetes, aber du erlebst nicht das Ordnen als Verlauf, als Geschehen
, als Prozeß. Und ganz analog wie bei der Frage nach dem Gedächtnis
muß doch etwas ausgesetzt werden, das ordnet, etwas, dem Geschehen
eignet, wiederum also ein unbewußtes Etwas, denn vorn Ordnungsverlauf
haben wir eben kein Wissen. Also wir stoßen wieder auf die
Seele. \
A. Diese Logik ist nicht trocken, sondern revolutionär. Das verdaue ich
so schnell nicht, obgleich ich fühle, daß ich geschlagen bin, fast körperlidhl
fühle, lieber Freund.
B. Du brauchst dich dieser Empfindungen um so weniger zu schämen, als
die Philosophen, denen dieses Licht aufging — Driesch ist unter ihnen —
es nicht ohne Erschütterung ertragen konnten. Driesch spricht von einer
„gewissen geistigen Erschütterung oder Verblüffung'*1).
A. Doch nun fahre fort. Du wärst bei der Befähigung des Wissens um
viele mögliche Welten angelangt. Um die wirkliche Welt wissen wir
aber doch lediglich in Bruchstücken.
B. Und auch das sehr mangelhaft, weil wir dem Irrtum und Zufall unterworfen
sind.
A. Aber warum spiegelt die unbewußte Seele die Welt nicht ganz
und wahr?
B Ausgezeichnet gefragt, lieber Freund; du kannst die Antwort aber
selbst finden. Denke an die Mängel auch der gesündesten Sinne.
A. Der Körper, die Materie ist's, die der Seele Fesseln anlegen.
B. So hat uns denn unsere geistige Wanderung auE die Brücke geführt,
von der ich sprach.
A. Nicht, daß ich wüßte, denn ich habe an die Hellseherei gar nicht
mehr gedacht. \
B. Und doch fragtest du sehr gescheit, warum die Seele die Welt nicht
ganz und wahr spiegle. Siehst du wirklich nicht, daß die unbewußte Seele,
ihrer körperlichen Schranken entledigt, das miroir de l'univers sein könnte,
als weiches der große Leibniz seine Monaden ansprach? Was ist der Hellsehende
anderes, als ein solcher Spiegel nur von bescheidener Leistung?
A. lim! Aber die Leibgebundenheit der Seele, wenn ich es einmal so
' nennen darf, wie für die Lückenhaftigkeit und Undeutlichkeit unseres Wissens
, für Irrtum und Zufall verantwortlich ist, sorgt eben doch dafür, daß
wir nicht in den Himmel wachsen. Und diese Schranke soll hier und da
einmal bis zum Hellsehen fallen?
B. Sie ist bei tiefer Hypnose schon durchlöchert, da der Hypnotisierte
sich uralter, und auch sehr gleichgültiger Geschehnisse erinnert, wovon das
wahre Ich nichts weiß.
A. So gewiß diese Tatsache der schwankenden Brücke, die du geschlagen
hast, einen gewissen Halt gibt, ist sie mir doch nicht fest genug, um sie
zu betreten. ' .
B. Ich verstehe diese Bedenken. Und wenn man bei diesen Phänomenen
lediglich auf die Glaubwürdigkeit unserer lieben Mitmenschen angewiesen
wäre, so würde ich auch zuwarten, bis ich selbst einmal so ein Phänomm
>) Driesch: „Wissen Denken", p. 2. Verlag voa Emmanuel Reinickc, Leipzig.
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