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Heinichen: Der Zusammenhang von Drieschs Philosophie mit d. Parapsychologie. 587
erlebte. Aber die Society, deren Präsident Driesch z. Z. ist, registriert nur
solche Fälle, die zweifelsfrei sind, weil z. B. im Falle eines „zweiten Gesichts
4, vom Eintreffen der Bestätigung das Erlebnis quasi notariell festgelegt
sein muß- Unter diesen Umständen kann man nur noch eiitgegnien„
daß ein Zufall im Spiele war, wogegen aber die relative Häufigkeit der
Fälle spricht.
A. Wenn es so ist, kann ich als vorurteilsfreier Mann freilich nicht
mehr widerstreben, lieber Freund, Aber nun hast du mich recht neugierig
gemacht. Wie steht es mit dem Gedankenlesen? Was ich in öffentlichen Darbietungen
bisher davon erlebt habe, geschah immer unter Zuhilfenahme einer
zweiten Person, und damil wurde die Leistung zu einem Taschenspielerkunststückchen
.
B. Beim Gedankenlesen wirkt Seele auf Seele ohne materielle Zwischenglieder
, während beim Hellsehen ein Objekt, also Materie, im Spiele ist.
Das würde sofort begreiflich, wenn alles Seelische im letzten Grunde Eines
wäre, oder wenn die individuellen Seelen Teile einer Ueberseele wären; denn
durch Hilfe des Einen könnte un^er Umständen eine einzelne Seele einer
anderen ihre bewußten Tnhalte offenbaren.
A. Mit dieser 4uffassung wäre mir nur gedient, wenn für eine solche
Annahme etwas anderes, etwas allgemein Geläufiges spräche. Kannst du auch
hier eine Brücke bauen?
B. Das ist sogar leichter als im Falle des Hellsehens. Aus Drieschs
„Philosophie des Organischen* kannst du ersehen, daß ein Ei zwei oder
vier Organismen, also — sit venia verbo — auch zwei oder vier Seelen durch
bloße Trennung der Blastomenen geben kann; ferner, daß aus zwei Eiern
ein Organismus entstehen kann. Nun ist es doch wohl angemessener, Einheit
und Vielheit von materiellen Bedingungen abhängig zu denken, so
daß ihre letzte Wurzel das Eine ist, als Teilbarkeit und Vereinbarkeit von
Seelen anzunehmen. *
A. Ich bin's zufrieden, obgleich diese Argumentation nicht gerade unter
die „geläufigen" gehört.
B. Auch damit kann ich in gewissem Sinne dienen. Die Tatsache des
moralischen Bewußtseins spricht nicht bloß dafür, daß alles Geistige in der
Welt das Eine zum letzten Grund hat, sondern sie ist ohne diese Annahme
schlechthin unverständlich.
A. Ich will nicht darüber rechten, ob das moralische Bewußtsein wirklich
eine ganz allgemeine Tatsache ist, und das müßte sie doch sein von
wegen des Einen. Fälle wie die des Knabenmassenmörders — sein Name
möge vergessen werden — sprechen dagegen. Aber inwiefern benötigt das
moralische Bewußtsein zum Verständnis der Hypothese, daß alles Seelische im
letzten Grunde Eines ist?
B. Die Menschheit ist nicht nur »eine, sondern ein Ganzes, und das
ist handgreiflich etwas anderes als eine bloße Summe. Im Bereich der menschlichen
Gesellschaft ist ein gewisses Verhalten gut, das für alle gilt, Pflicht-'
gefühl setzen wir von jedermann voraus. Das alles weist auf ein Ganzes
hin, das werden will, das wird, das sich entwickelt, ein überpersönliches
Etwas.
A. Ich muß zugeben, daß das Wirken von Seele auf Seele, das wir freilich
normalerweise nur durch Vermittlung materieller Zwischenglieder er-
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