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588 Zeitschrift für Parapsychologic. 10. Heft. (Oktober 1927.)
leben — und geschähe es auch nur durch einen seelenvollen Blick der Augen —
ich muß zugeben, daß es auch ohne solche Vermittlung durch deine Hypothese
denkbar wird.
B. Nicht nur was man gewöhnlich unter Gedankenlesen versieht, wird so
verständlich, sondern auch das Ablesen längst vergessener Gedanken.
A. Hm! Ich darf dir aber nicht verhehlen, daß „die Hilfe des Einen*
recht sehr an Theologie erinnert.
B. Mit dem lieben Gott hat keine unserer bisherigen Hypothesen zu
schaffen: Sie sind im Grunde logischer, nicht metaphysischer Natur.
A. Um so besser. Vielleicht kannst du mir auch Telekinese und Materialisation
näherbringen, woran ich bisher auch beim besten Willen nicht glauben
konnte.
B. Wenn wir Materialisationen ausschließen, die ohne Zusammenhang mit
dem Körper einer lebenden Person stattfinden sollen, so darf ich es um so
mehr hoffen, als du Drieschs Hypothese der Entelechie kennst.
A. Je nun, ich bin allerdings mit Driesch der Ansicht, daß in den, lebenden
Wesen nicht nur materielle Kräfte am Werke sind, sondern noch etwas anderes,
das jene Kräfte dirigiert, ohne den Betrag der Energie zu ändern.
B. Du meinst mit dem etwas schiefen Ausdruck materieller Kräfte die
Kräfte, die wir aus Physik und Chemie kennen.
A. Freilich, lieber Freund und Tüftelfritze.
B. Danke! Nimm nun noch hinzu, daß die entelechiale Kontrolle der
materiellen Bewegungen, worauf alles körperliche Geschehen hinausläuft,
in jedem Falle einen Anfang und ein Ende hat — denke an Assimilation und
ihr Gegenteil — so haben wir alles beisammen, um jene beiden Probleme nicht
mehr absurd finden zu können.
A. Das sehe ich nicht ein.
B. Wenn du bedenkst, daß Entelechie weder Materie noch Energie
schafft, sondern nur ein ordnendes Agens ist, weiter, daß bei der
Entwicklung eines Elefanten aus dem Ei die entelechiale Kontrolle über einen
Riesenstrom von Materialisationen herrscht; wenn du das alles bedenkst, so
mußt du zugeben, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen vitalisti-
scher und parapsychischer Kontrolle nicht besteht, denn fremde Materie
wird dort und hier geordnet.
* A. Aber der Spielraum, die Ausdehnung der Kontrolle, der Umfang der
ordnenden Macht ist bei den parapsychischen Materialisationen gegenüber der
entelechialen Kontrolle so groß, dabei so primitiv, so mittelsarm, daß ich dir
hier die Gefolgschaft versagen muß.
B. Aus diesen Worten ersehe ich, daß dir entfallen ist, in welcher Absicht
ich dieses Gespräch mit dir geführt habe; nicht um dich für eine Sache
zu gewinnen, der ich selbst abwartend gegenüberstehe, sondern um zu beweisen
, daß die parapsychischen Phänomene großenteils in dem Rahmen der
normalen seelischen Erscheinungen hineinpassen und schon deshalb nicht
ignoriert werden dürfen.
Daß alle diese Beweise von Driesch stammen3), brauche ich kaum zu verraten
. Du wirst nun auch verstehen, warum gerade er Präsident der Society
*) Näheres in Drieschs „Grundproblemen der Psychologie" und in seiner
„Presidential-Adress". Meine Schrift: „Drieschs Philosophie" versucht in das,
Ganze seines Schaffens einzuführen. Der Verfasser.
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