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Driesch: Parapsychologie und Philosophie.
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welche sich vielleicht eines Tages zu einer vereinigen werden. Denn es gibt eben
mehrere Gruppen parapsychologischer Phänomene, welche, zunächst jedenfalls,
so verschieden voneinander sind, wie etwa die Chemie von der Optik verschieden
ist. Denken wir hier an die Telepathie und die Levitation, welche, zunächst
sicherlich, nur das eine gemeinsam haben, daß sie beide übernormal sind. Wir
hoffen natürlich, daß es schließlich einmal nur eine Parapsychologie geben
möge, ebenso wie es ja heute nur eine Wissenschaft von der unbelebten Natur
gibt, nachdem sogar Chemie und Physik zu einer Einheit verschmolzen s*ind.
2. Wir kommen nun zu unserem eigentlichen Gegenstand, der Beziehung
zwischen Parapsychologie und allgemeiner Philosophie, und da scheint es geraten
, von der ersteren auszugehen, welche, wie wir gesehen haben, eine Gruppe
recht verschiedener Dinge darstellt. Sie von vornherein als eines zu fassen,
würde ein dogmatisches Vorgehen bedeuten. Ich weiß wohl, daß es gewisse
Hypothesen gibt, die spiritistische z. B., welche eine große Vereinheitlichung
und Vereinfachung bedeuten. Aber das sind ehen heute Hypothesen, und der
echte Philosoph muß ohne Voreingenommenheit an seinen Gegenstand herantreten
, indem er lediglich auf die Tatsachen blickt und verbucht, eine gewisse
Form der Ordnung in ihnen zu finden. Dieses ist auch der Weg gewesen, auf
welchem die Biologie eitie selbständige Wissenschaft geworden ist, während alle
Biologen, welche von physikalischen und chemischen Fragestellungen ausgegangen
sind, immer nur das, wovon sie ausgingen, im Organismus wiederfanden
und sich selbst gleichsam blind gemacht haben gegenüber dem echten
Problem des Lebendigen.
Wenn wir uns nun so die verschiedenen Zweige der Parapsychologie betrachten
, bemerken wir sofort, daß sie Beziehungen zu einer großen Zahl verschiedener
Probleme der allgemeinen Philosophie aufweisen, daß das eine hierher
, das andere dorthin gehört, und daß erst ganz zuletzt in den höchsten Regionen
der Philosophie, also dort, w!o die Philosophie selbst ihre alleraüge-
meinsten Feststellungen erreicht ha^, die philosophische Bedeutung der Parapsychologie
als eines Ganzen mit Erfolg studiert werden kann.
3 Telepathie, Gedankenlesen und Hellsehen, um absichtlich die alten eingebürgerten
Namen zu gebrauchen, stehen in einer engen deutlichen Beziehung
zu der Theorie des Wissens, wie die allgemeine Philosophie sie entwickelt.
Der Einfachheit wegen wollen wir die Philosophie sogleich metaphysisch
fassen. Das heißt, wir wollen von der Annahme ausgehen, daß e*> eine
absolute Existenz „gibt", lund daß unser Universum oder, mit anderen
Worten, der Inhalt unserer Erfahrung das Abbild oder die Erscheinung von
etwas ist, welches wirklich existiert. In diesem Sinne können wir unseren Ausgangspunkt
auch als realistisch bezeichnen; aber das Wort „realistisch" soll
durchaus nicht Materialismus bedeuten. Denn erstens gilt uns schon die sogenannte
Materie nur als Erscheinungsform eines Absoluten, und zweitens gibt es
im Reiche des Absoluten sicherlich vieles, was uns nicht als Materie erscheint
und sich bereits in den Erscheinungen des normalen organischen Lebens betätigt.
Von unserm metaphysischen odnr, wenn man so will, realistischen Standpunkt
aus betrachtet, stammt all unser Wissen um Besonderheiten aus zwei
Quellen: Da ist etwas, welches affiziert, und da sind Seelen, welche affiziert
werden. Das Ergebnis ist ein besonderes bewußtes Erlebnis seitens des Ich in
der Form der Erscheinung, z. B. das gesehene Bild einer Blume oder die Blume
als ein sogenanntes materielles Ding betrachtet.
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