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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1927.)
im weitesten Sinne des Wortes „seelisch" nenuen, obwohl er natürlich mit dem
sogenannten Ich nichts zu tun hat.
8. Es gibt also nichtmechanische seelenartige Kräfte, welche die Materie
beeinflussen und von ihr beeinflußt werden. Um die sogenannten physischen
Erscheinungen der Parapsychologie zu erklären, brauchen wir aber nur den
Bereich des Wirkens dieser bekannten Kräfte zu erweitern, d. h. anzunehmen,
daß sie noch viel mehr leisten können, als normalerweise bekannt ist. Sie
können nicht nur physiologische Vorgänge beeinflussen, nicht nur den Aufbau
der normalen Form lenken und regulieren, sie können auch abnorme
Strukturen hervorrufen unter der Leitung der Einbildungskraft. Das ist ein
erweiterter Coueismus und nichts anderes.
Vergessen wir hier nicht, daß die Wirkung jenes Faktor, welchen ich auf
dem Felde der Biologie Entelechie genannt habe, niemals Materie „schafft",
sondern nur schon vorhandene Materie ordnet. Nur diese ordnende richtende
Wirkung aber brauchen wir auch für die Parapsychologie. Denn Materie ist
überall. Unter diesem Gesichtspunkt würde die schlichte Assimilation das
erste Glied einer langen Kette von Ereignissen sein und die sogenannte
Materialisation das letzte.
Dies alles gilt natürlich nur dort, wo physische Paraphänomene im Zusammenhang
mit dem Leibe eines Mediums statthaben. „Kontinuierliche"
Phänomene, kurz gesagt, sind in der Tat nichts als ein erweiterter Vitalismus.
Sobald wir aber diskontinuierliche Erscheinungen, wie Spuk, Apporte
usw., zulassen, bricht unsere Theorie zusammen, und wir bewegen uns auf
gänzlich unbekanntem Gebiete.
Aber würde es nicht sehr kurzsichtig sein, anzunehmen, daß alle Gebiete der
Wirklichkeit uns heute bekannt seien, und daß es nichts gebe, was von gänzlich
neuem Wesen ist?
Tatsachen sind für die Wissenschaft immer das erste; und wenn uns jemand
sagt, daß gewisse Tatsachen „nie geschehen sind und nie geschehen werden",
wie es ein wohlbekannter Philosoph wörtlich getan hat, so ist dieser nicht ein
großer Kritiker, sondern ein negativer Dogmatiker, sehr ähnlich
jenem berühmten Professor der Physik, welcher einst die Unmöglichkeit der
Eisenbahn „bewies".
9. Diskontinuierliche Erscheinungen sind uns heute in der Tat
ebenso unverständlich wie die psychometrischen, wenigstens auf nicht spiritistischer
Grundlage. Mir scheint sogar eine gewisse Verwandtschaft zwischen
beiden Gruppen von Erscheinungen zu bestehen, und das bringt mich noch einmal
zur Psychometrie selbst zurück.
Bei der Psychometrie muß es, wie wir wissen, irgend etwas Unbekanntes
„an" einem gegebenen materiellen Gegenstande geben, sei es in unabhängiger
Weise oder weil dieser Gegenstand noch in irgendeiner unbekannten Beziehung
zu einer Seele steht. Bei den diskontinuierlichen Phänomenen müßte ein gewisser
Betrag von Materie, weicher nicht in einem irgendwie wahrnehmbaren
Zusammenhang mit einem lebenden Körper steht, trotzdem in irgendeiner Art
von Beziehungen zu ihm stehen und in dieser Hinsicht auch irgend etwas „an"
sich haben.
Vielleicht dürfen wir sagen, daß in beiden Fällen doch eine gewisse tatsächliche
Kontinuität, die wir freilich nicht wahrnehmen können, bestehl, und auf
diese Weise würden wir die Annahme einer Wirkung in die Ferne vermeiden.
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