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Driesch: Parapsychologie und Philosophie.
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früheren Erfahrungen gebunden sein, und diese waren natürlich ebenso begrenzt
wie bei jedem von uns. Ich gestehe, daß diese Erwägung mir sehr
eindrucksvoll zu sein scheint, besonders wenn wir sie zusammennehmen
mit der ersten, dem auswählenden Gedankenlesen. Möglich ist es natürlich
, in manchen Fällen die Beschränkung der Kenntnis des Mediums durch die
beschränkten Erfahrungen der Anwesenden zu erklären. Aber es gibt Fälle, bei
den book tests z.B., in denen sich die Beschränkung auf Gebieten zeigt, wo
Gedankenlesen wohl nicht in Frage kommen kann.
An fünfter Stelle stellen wir nur eine Frage auf: Gibt es Fälle, in denen
ein Medium von Tatsachen Kunde gab, welche keiner einzigen lebenden Person,
bekannt sind. Ich gestehe, daß ich nicht ganz überzeugt bin von der Tatsächlichkeit
solcher Fälle, leugne aber natürlich keineswegs ihre Möglichkeit. Wenn sie
verwirklicht wären, könnte man natürlich immer noch mit der Psychometrie
kommen, denn es gibt sicherlich gewisse Gegenstände, welche mit einen Verstorbenen
in Beziehung gewesen sind. Es würde sich da freilich um eine Psvcho-
metrie auf Entfernung handeln.
Die Psychometrie selbst mag nun den sechsten Platz in unserer Aufzählung
aufnehmen. Wir haben schon früher gesagt, daß wir sie vielleicht verstehen
können auf Grund der Annahme, daß der psychometrische Gegenstand
etwas „an" sich trägt, v*as ihn mit einer Seele verknüpft, und daß er auf diese
Weise dazu dient, zwei Seelen miteinander zu verknüpfen und so das Gedankenlesen
des Mediums zu gestatten. Aber, so mußten wir hinzufügen, das psychometrische
Medium „liest** ja sehr oft in einer Seele, welche nicht mehr
existiert. Wie steht es da mit dem „Lesen"? Bei Annahme der spiritistischen
Hypothese würde ja aber jene Seele existieren, z. B. in den Versuchen
Dr. Pagenstechers. Lebende Seele oder tote Seele: das würde keinen*
Unterschied machen, die Erklärung wäre einheitlich geworden.
Endlich erwähne ich kurz alle physischen Phänomene, welche ohne
Zusammenhang mit dem Leibe %ines Mediums geschehen, alle Arten von
Spuk, Phantomen und dergleichen. Hier treffen wir auf die Wurzel des volkstümlichen
Spiritismus und leider zugleich auf sehr unsoliden Grund. Immerhin
beginnen die Dinge sich aufzuklären. x)
12. Alles, was wir hier erwähnt haben, würde auf ein und derselben Grundlage
erklärt sein, wenn wir uns entschließen könnten, den Spiritismus anzunehmen
: und das ist eben der große Vorteil dieser Hypothese. Der Vorteil ist
jedoch, wie mir scheint, noch nicht hinreichend, um den Spiritismus endgültig
anzunehmen; denn auf der einen Seite sind andere Arten der Erklärung, mögen
sie auch gekünstelt sein, doch noch möglich, und auf der anderen ist es immer
ein gesundes Prinzip der Forschung gewesen, nicht einzuführen neue e ntia
praeter n e c es s i t a t e m, d. h. sie nur einzuführen, wenn gar Kein anderer
Weg offen ist. Und der „Geist" würde sicherlich ein neues Ens sein, selbst
wenn wir ihm nur übermenschliche und nicht außermenschliche Fähigkeiten zuschreiben
. Die Prophetie würde natürlich auf der Grundlage des üblichen
Spiritismus auch unerklärt bleiben; es sei denn, wir schreiben den Geistern
Fähigkeiten gänzlich unbekannter Art zu.
Noch einmal komme ich auf die oben erwähnten beiden Formen des Spiritismus
zurück, die eine sehr aligemein und unbestimmt, die andere sich mit dem
!) Vgl. die in der Einleitung genannten Werke von WalterPrince.
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