http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0622
604
Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1927.)
sagen kann: wenn der physikalische Mediumismus nicht von sich aus clie
Erscheinung der Erzeugung und organischen Formung von Teleplasma aufgewiesen
hätte, so hätte der Vitalismus sie seinerseits — wiederum von sich
aus, d. h. unabhängig von allem Mediumismus — suchen müssen.
Die dem Vitalismus entgegengeselzte sogenannte „mechanistische" Weltanschauung
steht dem Phänomen des Teleplasmas hilflos gegenüber. Ja, sie
muß im Grunde die Möglichkeit der Erzeugung und Formung von Teleplasma
durch ein Medium a priori leugnen. Denn bei diesen Phänomen gerät bisher
,,unkontrollierende" und ungeordnete Materie während einer fest abgegrenzten
Zeitspanne ersichtlich unter die Kontrolle und Ordnung eben
jener Eigengesetzlichkeit, eben jener „Entelechie", die der Mechanist gerade
leugnet I
Hier berühren wir den grundsätzlich wichtigsten Punkt unserer Erörterung.
Wir meinen nämlich, daß die Auffassung, welche auch im lebendigen Organismus
im Prinzip nur eine -- wenn auch ungeheuer komplizierte —
„Maschine4* sieht, nicht nur dem „Gebären** und Formen organischen Stoffes
durch ein Medium, sondern im Grunde jedem Akt des Entstehens und Sichgestal
tens von Lebendigem hilflos gegenübersteht. Man könnte meinen, diese
Behauptung wäre eine „petitio prineipii", eine Vorwegnähme des zu Beweisenden
. Denn sie setzte die Unmöglichkeit einer rein „mechanischen** Entstehung
des Lebendigen und einer rein mechanischen Gesetzmäßigkeit der
Lebensvorgänge — die eben zwischen den Vitalisten und Mechanisten strittig pei
— bereits versteckt voraus. Wir geben zu, daß unsere Auffassung eine
„petitio prineipii'* enthält, aber in einem andern Sinne als in dem von der
mechanistischen Polemik gemeinten. Wir setzen allerdings einen Grundsatz
voraus. Und das ist unhintertreiblich. Denn es steht erkenntnistheoretisch fest,
daß alles wissenschaftliche Erkennen mit einem „Glaubensbekenntnis** beginnt
und beginnen muß! Aber der von uns vorweggenommene Grundsatz
ist nicht der von der „Eigengesetzlichkeit der Lebensvorgänge*'. Er liegt
vielmehr weiter zurück, als dieses „Prinzip" des Vitalismus. Unser Grundsatz
ist der von der „Primordialität des Lebendigen". Unsere heutige Weltanschauung
steht — ganz unabhängig von dem Gegensatz zwischen Mechanismus
und Vitalismus — ganz allgemein auf dem Standpunkt der These von
der „Primordialität des Toten4. Sie fragt: „Wie ist Lebendiges aus Totem
entstanden?*' Und eben die Einstellung auf diese Fragestellung ist der Anerkenntnis
der Möglichkeit der Erscheinungen des physikalischen Mediumismus
hinderlich. Wir sollten aber fragen: „Wenn es in der Welt überhaupt
ein ,Totes* gibt — wie ist dies aus dem ursprünglichen Lebendigen entstanden?**
Nicht das Leben ist lebendig gewordener Tod, sondern der Tod ist gestorbenes
Leben! Daß uns diese notwendige Umkehrung der Fragestellung
solche Mühe macht, daß wir ihr so sehr widerstehen, liegt daran, daß wir von
vornherein an einen bestimmten-gleichsam „todesphilosophischen" Begriff der
' „Materie** gebunden sind. Unsere Materie ist das im Räume Ausgedehnte, Undurchdringliche
, die „Masse", die durch ihre Trägheit und Schwere erkennbar
wird. Wir betrachten heute die Materie als durch ihre räumliche Ausdehnung
und durch ihre Raumerfüllung ihrem Wesen nach bestimmt. Wir definieren
die Materie in diesem Sinne! Aber wir sollten uns klar werden,
daß es sich hier lediglich um eine Nominaldefinition, nicht um eine Realdefinition
handelt. Das heißt: unsere Definition ist nicht der Ausdruck einer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0622