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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1927.)
Tischrand und fällt zu Boden. Frau Ramspacher legt sie auf den Tisch zurück.
„Olga" verlangt ihr Lied und gleichzeitig, daß das Tamburin auf den Tisch
gelegt werde. Ich singe, soweit mir noch Gesang gegeben, während Frau R.
das Tamburin besorgt. Während die Teilnehmer den Refrain des Liedes im
Chor singen, hebt sich das Tamburin und schlägt nun taktgemäß auf den
Tischrand (ein ausgezeichnete® Phänomen!). Wir rufen Bravo. Nun hebt
sich das Tamburin und wird über die Lampe hinweg in den Zirkel geworfen.
Kalter Luftzug. Die Vorhänge blähen sich auf, als würden sie vom Kabinett
aus mit aller Kraft aufgepumpt. Plötzlich hören diese Bewegungen auf. Im
Augenblick scheint die ganze Atmosphäre der Sitzung eine andere zu werden.
Ich hatte das Gefühl, wie wenn ich, in einem erst überfüllten Saal, plötzlich
ganz allein wäre, als wäre die Luft mit einemmal leer — als würde man ein
nicht zu definierendes Etwas plötzlich vermissen. Kabinett, Vorhänge, Tisch,
Lampe, alles Spielzeug, das gebraucht worden war, schien mit einemmaf tot
zu sein. Es war eine ganz merkwürdige Empfindung, die sich auf dem
Papier nur schwer wiedergeben läßt. „Olga" flüsterte, daß sie nun gehen müsse,
aber sie werde am nächsten Abend wiederkommen. Die beiden Medien röchelten
; mit einem heftigen Ruck kamen sie (um n Uhr i5 Minuten) aus dem
Trance. Rudis Puls no.
Nach Schluß der Sitzung war mein erstes, auf mein Reisethermometer
zu sehen: es stand auf 74,5 Grad F. (Das Instrument lag auf einem Möbelstück
, rechts vom Zirkel, und zwar während der ganzen Sitzung an der gleichen
Stelle.) Meine nächste Arbeit war, Kabinett und Fenster nachzuprüfen. Ich
nahm sorgfältig die Kabinettvorhänge von den Haken und die Wolldecken von
den Fenstern. Mein Kataplast war genau so, wie ich es angeklebt hatte und
ich nahm die Rolle wieder an mich, während ich meinen Gefährten meine Probe
erklärte. Jedenfalls hatte ich mir selbst bewiesen (wenn es eines Beweises
bedurfte), daß die tätige Kraft von innerhalb des Raumes kam, nicht von
außen. Ich betone diesen Punkt, um den skeptischen Leser davon zu überzeugen
, daß kein Helfershelfer, auch nicht mit einer langen Leiter von der
gutbeleuchteten Straße aus, die beiden Fensterscheiben durchstoßen, fünf
Blumentöpfe auf die Seite schieben, zwei Wolldecken beseitigen und die verschiedenen
Vorhänge durchdringen konnte, ohne daß eine Seele in dem
Sitzungszimmer etwas davon bemerkt hätte. Ich hörte den Skeptiker murmeln:
^,Und wie steht's mit dem Schornstein?" und bemerke dazu, daß das Zimmer
den typischen deutschen Ofen mit blechernem Ofenrohr besitzt und sich
dieser außerdem am entgegengesetzten Ende des Zimmers befindet.
Nachdem sich die beiden Medien etwas erholt hatten, inspizierte ich noch
genauer das Zimmer mit den anstoßenden Räumen usw. — aber ich fand nichts
Verdächtiges. Besonders angenehm 'ist es in der Schneiderschen Häuslichkeit
, daß man einfach machen kann, was man will. Wenn ich verlangt
hätte, daß jedes einzelne Zirkelmitglied in Handketten und Fußeisen gesichert
würde, hätte mir auch das die Familie Schneider mit Vergnügen zugestanden.
Ich habe in dieser Hinsicht von keinem Mitglied der Familie jemals einen
Widerspruch erlebt oder die Beobachtung gemacht, daß irgendeine Kontrollmaßnahme
verstimmt hätte.
Wir verließen das Sitzungszimmer um n Uhr 45 Minuten. Meine Freunde,
Kapitän Kogelnik, Karl und seine Frau besuchten noch ein Cafe, wo wir bis
gegen zwei Uhr früh das herrliche, kühle, klare, berühmte Braunauer Lager-
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