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Freudenberg: Neue Bewegungen innerhalb des Spiritismus. 631
offen und klar dartut, wie er den Spiritismus auffaßt und wie er ihn in seinen
Kreisen zu gestalten sucht. „Le genie eeltique et le monde in-
v i s i b 1 e" nennt sich dieses ohne Frage bedeutsame Buch. Leon Denis glaubt
nämlich, entdeckt und durch sein neues Werk auch bewiesen zu haben, daß die
Grundsätze des modernen Spiritismus, selbstredend durch die Entdeckungen "der
Wissenschaft und die Fortschritte der Zeit erweitert, identisch seien mit den
Lehren der Druiden. Vergleichsdrittes ist hierbei der Glaube an Seelenwanderung
. Nun, so schließt er weiter, die Druiden sind die Lehrer der Kelten, und
der keltische Genius muß heute auf Antrieb und unter Beistand jenseitiger Mächte
durch den Spiritismus in Frankreich neu erweckt werden, denn die Franzosen
sind keine Lateiner, sondern Kelten, Abkömmlinge der alten Gallier. In Frankreich
eingewanderte Franken, Westgoten, Burgunder, Phönizier, Römer,
Sarazenen und Katalonen seien sämtlich gering an Zahl gewesen und von dem
gallischen Element rasch aufgesaugt worden. Damit das heutige Frankreich aber
nun den ihm in der Welt gebührenden Platz einnehme, müsse es sich darüber
klar werden, daß es keltisch und nicht lateinisch sei. Fühlte es sich im Laufe
der Geschichte keltisch, so sei ,in ihm der Geist der Freiheit, der Biederkeit
des Gerechtigkeitssinnes, der die Seele Galliens bezeichne, lebendig gewesen.
Daher das Bestreben der Gemeinden nach Selbständigkeit und daher die Revolution
. Hielt es sich aber für lateinisch, so sah man alle Formen monarchischer
und theokratischer Unterdrückung auftreten, die zentralistische Verwaltung nach
dem Vorbild der Römer mit ihrer Schlauheit, ihren Listen, ihrer Politik und
ihrem Betrug, kurz die Korruption altgewordener Völker. Was in den keltischen
Slammländern heute noch keltisch fühle, in Irland, Schottland, Cambrien,
Wales, in der Bretagne und Lothringen (Donon und der Berg der heiligen
Odilie bildeten ja das große Verteidigungsobjekt gegen die Germanen, und die
Jungfrau von Orleans sei die Wiederverkörperung eines Druiden gewesen),
werde das Neuerwachen des keltischen Genius in Frankreich mit voller Sympathie
begleiten. Der druistisch-kardecische Neospiritismus sei bestimmt, Frankreichs
Wiedergeburt einzuleiten und es seinen hohen Zielen entgegenzuführen.
Zu dieser Neubelebung des keltischen Geistes durch den Spiritismus haben
hohe Geister durch den Mund dei Medien die Anregung gegeben. Allan Kardec
und andere Desinkarnierte der druidisch-keltischen Gruppe verheißen durch
mediumistische Botschaften und automatische Niederschriften ihren Beistand.
Ihm vertrauend hat Denis mit hohem Schwung sein Werk geschrieben und durch
eigene Begeisterung allerorten Begeisterung geweckt, wie bereits zahlreiche Besprechungen
beweisen, die feurigsten Lobes voll sind.
Die historische Richtigkeil der Denisschen Ausführungen zu beurteilen ist
Sache der Historiker und nicht unsere. Was für uns aber beachtenswert erscheint
, ist der Umstand, daß hier Spiritismus in den Dienst nationalistischer
Interessen gestellt wird. Denn wie edel auch die Beweggründe und die Gedanken
Denis* sein mögen, an der Tatsache ist nicht zu rütteln, daß er den Spiritismus
in ein patriotisches Joch spannt. Dies sei nicht hervorgehoben, um einen Tadel
auszusprechen, sondern nur, um einen geschichtlich und psychologisch nicht
gleichgültigen Vorgang festzustellen. —
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