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„Ist die Tätigkeit der Geffers als eine echte hellseherische, als eine okkultistische
Fähigkeit übersinnlicher Art aufzufassen? Diese Frage ist zu verneinen."
„... Unter Hellsehen versteht man im Gegensatz zur Telepathie, die auf einer
Gedankenübertragung eines Anwesenden beruht, die Fähigkeit einer unmittelbaren
Einwirkung von Gegenständen, die nur von dem Fernseher erkennbar wahrgenommen
werden, oder von Vorgängen der Zukunft oder Vergangenheit, die aber ebenfalls
nur dem geistigen Auge des Fernsehers ohne Dazwischentreten eines überragenden
, anwesenden Dritten sichtbar sind. Alle, selbst von hervorragenden
ForschernaisHellsehereibeglaubigtenFälle, haben sich stets
nach deren eigenem Geständnis als geschickte Täuschungs versuche
herausgestellt (v. Verf. gesperrt)." ... „Liegt nach Ausschluß der hellseherischen
Fähigkeiten vielleicht ein Gedankenlesen vor? Die Fähigkeit kann in der Tat nach der
Hauptverhandlung bejaht werden. Es handeltsich aber hierbei um keine okkulten Fähigkeiten
, sondern um Erscheinungen, die der Naturwissenschaft bekannt sind und
psychologisch durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden (Muskellesen, Pulsbeobachtung
, Handbewegungen usw.). ... Es handelt sich bei der Angeklagten
um keine übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, sondern sie nimmt durch Gedankenlesen
alles aus ihrer Umgebung geschickt heraus, um es dann prophetisch
zu verwenden." ... „Jede Hypnose, auch der autohypnotische Trancezustand,
bringt schwere Gefahren und auf die Dauer auch starke gesundheitliche Schäden
für das Medium mit sich. Die Angeklagte ist nach ihren eigenen Angaben bereits
seit 10 Jahren als Hellseherin tätig und hielt in dieser Zeit fast täglich eine oder
mehrere Sitzungen ab. Die Echtheit des Trancezustandes ist schon hierdurch
widerlegt, da sonst die Angeklagte bei der langen und fortgesetzten Tätigkeit als
Medium schon längst ruiniert sein müßte. Es kommt somit nur ein Gedankenlesen
in Frage." ... usw.
Die Angeklagte hat eine „Uebersicht über erfolgreiche Fälle" aufgestellt.
Diese Liste erstreckt sich auf 16 Fälle. Hier interessiert der materielle Inhalt dieser
Liste nicht, da er an Gerichtsstelle nachgeprüft werden wird. Interessant sind nur die
Notizen über die an Frau Günther-Geffers seitens amtlicher Personen ergangenen
Aufträge. Sie schreibt u. a.: Fall de la Chaux, Tilsit: „Die Kriminalpolizei erbat
meine Hilfe usw." Fall Wilhelm Preugerhat in Goldap: „Herr Preugerhat und
Kriminalassistent Dickschaß, Königsberg, suchten mich zusammen in meiner Wohnung
auf und erbaten meine Hilfe usw." Fall Mord Schlegat, Memelland: „Am
29. 5. 1925 fuhr ich auf Aufforderung vom Kriminalkommissariat Memel nach
Heydekrug usw." _Dr. phil. O. S e e 1 i n g, Berlin.
Ein merkwürdiger Traum und seine Erfüllung.
Von Pfarrer Stock, Goldschau bei Osterfeld (Thüringen).
Anm. derRedaktion. Der Herr Einsender bezeichnet den nachfolgenden
Bericht als eine Ergänzung der Ausführungen von Dr. med. A. Reddingius, Haag,
„Cine Betrachtung über Todesprophezeiungen" im Septemberheft 1926.
Es dürfte bekannt sein, daß in Mitteldeutschland und wohl auch in anderen
Gegenden unseres Vaterlandes der Glaube allgemein verbreitet ist, daß Träume,
in den heiligen zwölf Nächten (vom Christfest bis zu den Heiligen Drei Königen)
geträumt, in dem Monate in Erfüllung gehen, der der Zahl nach der Traumnacht
entspricht. Im vorigen Jahre hat nun dieser Glaube neue Nahrung erhalten durch
die unter trägischen Umständen erfolgte Erfüllung eines solchen Traumes.
Es war in der sechsten der heiligen Nächte, da träumte dem Pfarrer und Su-
perintendentur-Vertreter eines Ortes in der Nähe von Z., sein vor mehr als einem
Jahrzehnt verstorbener bester Freund, der auch in der Nähe Pfarrer gewesen war,
sei zu ihm gekommen und Arm in Arm mit ihm in die Kirche gegangen, wo er zu
ihm gesagt habe: „Sieh, nun sind wir ja doch wieder zusammen." Am anderen
Morgen beim Frünkaffee erzählte der Pfarrer scherzend den Traum seinen Angehörigen
* Aber der Traum hatte ihn innerlich doch viel tiefer ergriffen, als er
sich den Anschein geben wollte. Er kam oft wieder auf dies merkwürdige Traumerlebnis
zu sprechen, so daß auch seine Angehörigen heimlich in Sorge waren.
Als der Pfarrer im Juni des Jahres in Ems zur Kur weilte und dort, wie er es zu
Hause auch als rüstiger Fußgänger zu tun pflegte, allein weite Spaziergänge in
die Umgegend machte, bat ihn seine besorgte Frau in ihren Briefen, von solchen
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