http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0685
Neugarten: Zum Problem der Stigmatisationen.
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Wenn die Menschheit durch diese Erkenntnis endlich von dem Wahn des
Materialismus befreit und den Menschen und dessen Leben als etwas anderes
betrachten lernen würde wie nur als eine Maschine, dann hätte
Theresia Neumann nicht umsonst gelitten.
Zum Problem der Stigmatisationen, insbesondere zur Psychoanalyse
und Parapsychologie des Falles Therese Neumann in
Konnersreuth.
(Nach einem am 19. September 1927 in der Berliner Aerztlichen Gesellschaft für
Parapsychische Forschung gehaltenen Vortrag)
Von Dr. med. Hermann Neugarten, Berlin.
Die Stigmatisationen gehören wohl zu den am häufigsten berichteten Phänomenen
abnormjpsychophysischen Geschehens. Seit der Stigmatisation des hl. Franz
von Assisi, die als die erste gilt und 1224 erfolgt sein soll1), sind nachTholuck 32,
nach den Angaben des Handwörterbuches: „Die Religion in Geschichte und Gegenwart
'* (Tübingen 1913), über 3oo Fälle von Stigmatisationen vorgekommen.
Andere Quellen wieder geben 5o und 80 Fälle an. Die Verschiedenheit dieser
Zählungen erklärt sich nach Jacobi aus der verschiedenen Bewertung der Fälle,
treten doch manchmal die Wundmale Christi nur teilweise auf, und in anderen
Fällen kommt es überhaupt nur zur subjektiven, schmerzhaften Wahrnehmung
der Stigmen. Zur letztgenannten Gruppe gehört Katharina v. Siena(i34i—i38o).
Aus der großen Zahl späterer Stigmatisierten seien als die bekanntesten
genannt:
Elisabeth Achler oder Elisabeth Bona von Reute, genannt die gute JBetha
(1386—1^20) (Oberschwaben).
Veronika Guiliani (1660—1727).
Maria Morl (1812—1868) in Kaltem bei Bozen.
Maria Domenica Lazarri (1815—i85o) zu Capriana im Kreise Trient.
Anna Katharina Emmerich, die Nonne von Dülmen (bei Münster), (1774
bis 1824).
Luise Lateau (i85o—1883) in Bois d'Haine (Belgien).
Gemma Galgani (1876—1903) in Camigligano (Toskana).
Jn der Zahl der Stigmatisierten überwiegen zwar die Frauen, aber es haben
auch Männer die Stigmata empfangen. Der Zeitpunkt der Stigmatisation ist völlig
verschieden. Angela della Pace soll in ihrem 9. Lebensjahr, Johanna vom Kreuze
im 43. Lebensjahr stigmatisiert worden sein; in einigen Fällen sollen die Stigmata
sogar erst nach dem Tode aufgetreten sein. Gegenwärtig leben außer der Therese
Neumann noch drei Stigmatisierte2), und zwar: Anna Henle in Aichstetten
(Württemberg), der Kapuzinerpater Pius Pietralcina zu St. Giovanni Rotondo bei
Foggia (Italien) und Elena Ajello zu Montalto Uffugo.
0 In den Angaben über frühere Stigmatisationsfälle und deren Literatur beziehe
ich mich auf Dr. W. Jacobi: „Die Stigmatisierten", Beiträge zur Psychologie der
Mystik. München 1923.
a) Nach Bruno Grabinski: „Das Wunder von Konmersreuth". Voss. Zeitung
v. 4. 9. 27; vgl. außerdem vom gleichen Autor: „Wunder, Stigmatisation und Besessenheit
in der Gegenwart", Hildesheim 1923.
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